Theaterprobe als Modell eines flüchtigen Lebens – „Besucher“ von Botho Strauß eröffnet Mülheimer Stücketage

Von Bernd Berke

Mülheim. Frenetisch bejubelter Auftakt der Mülheimer Theatertage „Stücke 89″: Der Dramatiker-Wettbewerb begann mit „Besucher“ von Botho Strauß. Dieser Text wandelt kreuz und quer durch alle Ebenen von (Un-)Wirklichkeit und verwendet kunstvoll die Probensituation des Theaters als Modell des vorläufigen, flüchtigen und austauschbaren Lebens.

Leben spiegelt das Theater, Theater das Leben. Schauspieler stehen plötzlich sogar als Theaterbesucher auf der Bühne, und wir geraten immer tiefer in das verschachtelte Spiegelkabinett eines Stücks im Stück im Stück…

Die Proben für einen Gentechnik-Schocker werden beherrscht von „Karl Joseph“, einem berühmten Mimen alten Schlages. Es wird nie ganz gewiß, ob er ein spieltechnischer Virtuose ist oder doch nur ein Deklamations-Scharlatan, der sich vor den Zumutungen des Lebens großmäulig in alte Bühnen-Anekdoten rettet. Heinz Bennent spielt seine ganze Bühnenerfahrung mit, er hält – wahres Wunder an Präsenz – diese herrliche Rolle (unbestreitbare Stärke auch des Textes) bis zum Schluß offen.

Seine Mit- und Gegenspieler: Cornelia Froboess als nymphomane Tierschützerin, die man nach langen Jahren wieder zum Theater geholt hat, und Axel Milberg als junger Bühnenanfänger; er stammt aus der DDR, scheint aber aus der gesamten Wirklichkeit „ausgebürgert“. Auf den Stationen seines Einsamkeits-Weges kommen traumartige Passagen ins Spiel. Sie verleihen dem Stück leider einen Zug ins Ungefähre, ins bloß noch Geraunte. In Dieter Doms Inszenierung (Kammerspiele München) ergibt das einen scharfen Kontrast zu Szenen, die auch handfesten Klamauk nicht scheuen: „Joseph“ (Bennent) hat Dauerprobleme mit seinem Gebiß und vollführt auch schon mal einen Handstand.

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Zur Eröffnung der „stücke ’89“ hat NRW-Kultusminister Schwier eine Rückbesinnung des Theaters auf seine wesentlichen Elemente gefordert. Theater werde nicht allein für Rezensenten veranstaltet, um den „Marktwerkt des jeweiligen Intendanten zu steigern“. Abwerbeverhandlungen sollten der Fußball-Bundesliga vorbehalten bleiben. Sie dienten der Qualitätssteigerui des Theaters nicht.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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