Von Bernd Berke
Wuppertal. Goethe, in Weimar auch Theaterdirektor, wußte, warum er mehr Stücke von August von Kotzebue als etwa von Schiller spielen ließ. Weil, so befand Goethe, Kotzebue uns Mittel „in die Hand gegeben hat, die Zuschauer zu unterhalten und der Kasse zu nutzen“.
Das Kassen-Argument wird auch in Wuppertal eine Rolle gespielt haben. Dies ist legitim, aber ist es auch hinreichend, um Kotzebue (1761-1819) heute noch mit Zipfelmützen und Schlafröcken zu spielen, ganz so, als müsse es uns lediglich um „Die deutschen Kleinstädter“ (Stücktitel) von Anno 1800 gehen?
Titelsucht, Prinzipienreiterei, Engstirnigkeit, Kleinigkeitskrämerei, lachhafter (Lokal)-Patriotismus und eine „christliche“ Moral, die man festtags wie eine Monstranz vor sich herträgt, während man alltags als Prozeßhansel um Nichtigkeiten streitet – das alles ist das sprichwörtlich gewordene Städtchen Krähwinkel. Durch Ehrsucht und ein paar schlichte Mißverständnisse halten die Kleinstädter den angereisten Olmers für ein ganz hohes Tier, sie hofieren ihn aufs Unterwürfigste. Zwischendurch wird er als vermeintlich titelloser Scharlatan „entlarvt“; allerdings: man weiß dann doch nicht so recht. Schließlich besitzt er das Empfehlungsschreiben eines Ministers.
Aus all dieser Unentschiedenheit und weil Olmers eigentlich gekommen ist, um die Tochter des Krähwinkler Bürgermeisters zu heiraten, um sie auch so vor einer Zwangsehe mit dem „Riesenbaby“ Sperling zu bewahren, bezieht das routiniert gebaute Lustspiel noch heute wirksame Komik – und da bleibt das Wuppertaler Ensemble vor allem vor der Pause auch kaum etwas schuldig.
Jeder, allen voran Dietmar Bär (Sperling), Gerd Mayen (Bürgermeister) und Rena Liebehow (Großmutter), hat da seine fulminanten Momente. Nur gelegentlich gibt es (Regie: Johannes Klaus) noch kleine Tempoprobleme, „Durchhänger“, Leerstellen. Im komischen Detail und in überlegten Gruppierungen der Schauspieler hat die Aufführung ihre Stärken. Insgesamt aber bleibt sie bieder und kleinmütig, was wohl auch daran liegt, daß Markus Hoffmann (Olmers) zu brav agiert. Sonst nämlich hätte man womöglich die Umstände seiner Eheschließung, die er sich schließlich auch durch Anpassung an die Krähwinkelei erkauft, boshafter hervorheben können.
Kotzebue, 1819 aus politisehen Motiven von dem Studenten Sand ermordet (was eine Art „deutschen Herbst“ nach sich zog), hat an einigen Stellen hellsichtig den dumpfen Untergrund der Spießigkeit und ihren Zwangscharakter erfaßt. Wenn da etwa Krähwinkels Hauptweg „eine anmutige Promenade bis hin zum Galgen“ genannt wird, legt dies eine unbequeme Schärfe nahe, die man in Wuppertal vermißt.
Schon das Bühnenbild (Birgitta Weiss) ließ freilich ahnen, daß man dem Stück nicht biestig zuleibe rücken wollte: ein Podest, mit hellgelbem Stoff ausgeschlagen wie ein heimeliges Körbchen; nur ein paar Schadstellen in der Tapete deuteten vorsichtig auf Risse in der Gemütlichkeit.