Traditionelle Kunst im Griff des Marktes – Zwei Dortmunder Museen zeigen Kunst kanadischer Eskimos und Indianer

Von Bernd Berke

Dortmund. Der „Schild für moderne Krieger“ ist zwar noch mit ein paar schütteren Indianerfedern geschmückt, doch seine Panzerfläche besteht aus plattgetretenen Bierdosen amerikanischer Sorten. Die Berührung mit der „weißen“ Zivilisation hat die traditionelle Kultur der Indianer durchsetzt oder gar verschlungen.

Die pluralistische Vielfalt, die aus dieser Berührung entstanden ist, hat offenbar viel von Verwirrung und Beliebigkeit. Das ist eine Beobachtung, die man ab Samstag bei der großen Dortmunder Doppelausstellung (Titel: „Im Schatten der Sonne“) mit zeitgenössischer Indianer- und Inuit (Eskimo)-Kunst aus Kanada machen kann.

Zwei Dortmunder Museen teilen sich Präsentation und Kosten. Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte werden rund 140 Arbeiten von Inuit-Künstlern gezeigt, im Museum am Ostwall etwa 110 Bilder und Objekte indianischer Künstler. Grundlegender Unterschied: Die Inuit leben im höchsten Norden Kanadas so isoliert, daß sie noch kaum in den breiten Strom der Westkunst geraten sind; ganz anders die Indianer, die ersichtlich auch neuere Stimmungen der internationalen Kunstszene verarbeiten, zitieren und verwandeln, so daß sie sich oft in einem ZwitterBereich zwischen Tradition und Moderne bewegen. Jedenfalls verstehen sie sich zunehmend als individuelle Künstler im westlichen Sinne, was übrigens auch preistreibend gewirkt hat.

Viele Arbeiten wirken seltsam geglättet

Die Arbeiten der Inuit-Künstler sind erst durch touristische Souvenir-Nachfrage in den Kreislauf des „gefräßigen“ Kunstmarktes gekommen. Zahlreiche Exponate, auch wenn sie sich auf Traditionsthemen wie Jagd, Tiergeister und Schamenentum beziehen, wirken denn auch wie für den Markt geglättet oder strahlen gar eine Art „Spielzeugcharakter“ aus. Sogar die Mini-Skulptur eines Menschen am Galgen, gefertigt aus Walroßstoßzahn (ein bevorzugtes Material), wirkt eher niedlich. Ob grellbunte Wandbehänge, „naive“ Zeichnungen oder Tierfiguren – die Kraft authentischer Volkskunst fehlt den meisten Stücken. Dekorativ-Undämonisches Überwiegt, die Ausstellung ist gut und leicht konsumierbar.

Am Ostwall freilich werden die Ansprüche des Betrachters, da es sich hier um ein reines Kunstmuseum handelt, womöglich steigen – und vielfacht unerfüllt bleiben. Auch hier drängt sich nämlich bei manchen Exponaten der Eindruck für den Markt zubereiteter Folklore auf, so daß man alsbald in Zweifel gerät, ob man die Ausstellungsstücke nicht lieber unter ethnolologisch-dokumentarischen Gesichtspunkten würdigen und „interessant“ finden soll. Einige Werke werden aber auch höheren Ansprüchen gerecht, so etwa Ron Noganoshs erwähnter Kriegsschild, oder – Beispiel für eine zahlreich vertretene „Öko-Kunst“ – eine Weltkugel, deren Substanz per Wasserhahn in ein Klo ausläuft. Spannend z.B. auch die magischen Installationen von Edward Poitras („Eisenbogen“), die ihre Kraftfelder fast in Beuys’scher Art aufbauen.

Die Auswahl für beide Ausstellungen besorgte das Canadian Museum of Civilization, dessen gigantischer Neubau (zweitgrößtes Museum auf dem nordamerikamschen Kontinent) im Juli 1989 in Ottawa mit eben jener Ausstellung eröffnen wird, die jetzt bei uns zu sehen ist. Insofern handelt es sich um eine Dortmunder Weltpremiere.

Bis 26. Februar 1989 im Museum am Ostwall und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Hansastraße — Katalog (640 Seiten) 58 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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