Kultur soll die Städte retten – 28 NRW-Kommunen starteten Kampagne „Kultur 90″ mit Expertenanhörung

Von Bernd Berke

Essen. Die 90er Jahre könnten, wenn nicht rechtzeitig und entschlossen gegengesteuert wird, unerquicklich werden: Immer mehr Technik, immer mehr Umweltgifte, immer mehr Fernsehkanäle – und immer weniger Arbeitsplätze.

Vor diesem düsteren Szenario wollen sich unter anderem jene 28 NRW-Städte zwischen Aachen und Bielefeld retten, die sich gestern bei einem Hearing (Anhörung) auf dem Essener Messegelände von Experten – mehrheitlich Professoren verschiedenster Fachrichtungen – den Ist-Zustand erläutern und Zukunftsperspektiven abstecken ließen.

Die erhofften Retterinnen“ vor den kommenden Übeln sinnentleerter Freizeit und bedenkenlosen Konsums heißen „Kultur“ und „Kreativität“. So firmierte das gestrige Hearing denn auch unter dem Motto „Kultur 90″. Es war der Auftakt zu einer Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen in den beteiligten Städten, von denen man sich eine Beispielsammlung für künftige Kulturarbeit erhofft. 1987 sollen die Ergebnisse der Kultur-Kampagne bei einer weiteren Anhörung in Essen ausgewertet werden.

Die in ihrem Umfang wohl beispiellose (wenn auch bislang zwangsläufig wenig konkretisierte) Unternehmung, die vom in Wuppertal ansässigen Kultursekretariat koordiniert wird, fährt sozusagen zweigleisig: Einerseits soll mit wissenschaftlicher Rückendeckung den kommunalen Entscheidungsträgern die Dringlichkeit höherer Kulturetats vor Augen geführt werden (zum Vergleich: in Frankfurt sind derzeit rund 11 Prozent des Stadtsäckels für Kultur bestimmt, im Revier zwischen 2,8 und 4,6 Prozent).

Neben der finanziellen Ausweitung des Sektors soll überhaupt der ganze Kulturbegriff erweitert werden: Nicht nur „Repräsentations“- und „Alternativ“-Kultur spielen da eine Rolle, sondern es sollen z. B. auch kulturträchtige Aspekte von Umwelt, Spiel, Sport und Gesundheit ebenso einbezogen werden wie Medien, Technik, Wirtschaft(sförderung), Mäzenatentum und Vereinswesen.

Die einzelnen Themen (Muster: „Kultur & Technik“, „Kultur & Jugend“ usw.) wurden mittlerweile auf die Städte verteilt, deren Kulturämter bei der Auswahl mitwir,kten. BeispieIe: In Dortmund soll man sich vorrangig ums Generalthema „Kultur & Alltag“ kümmern, Unna zeichnet für „Kultur & Kleinstadt“ verantwortlich, Hagen widmet sich dem Bereich „Kultur & Spiel, Sport“, Siegen hat sich „Kultur & Freie Gruppen“ ausgesucht, Witten erkundet Zusammenhänge zwischen „Kultur & Gesundheit“, in Köln sollen Wechselwirkungen zwischen „Kultur & Geld“ dingfest gemacht werden, Bochum sondiert unterdessen das verwandte Thema „Kultur & Wirtschaft“.

Einstweilen liegen nur grobe Leitlinien, aber keine detaillierten Pläne für einzelne Veranstaltungen vor, die diesen Erkundungen dienlich sein sollen. Auch die Finanzierung des Großprojekts ist noch nicht ganz geklärt. Ratsentscheidungen in den einzelnen Städten sind abzuwarten. Das Wuppertaler Kultursekretariat wird gewiß sein Scherflein beisteuern, außerdem will man bei bestimmten Themen die einschlägigen Landesministerien ansprechen.

Ein Kraftakt also, von dem man allerdings nur in Umrissen weiß, wie er sich entwickelt. Dr. Karl Richter, Leiter des Kultursekretariats, bemühte denn auch den Begriff der „Utopie“: Man befinde sich nun „im Vorfeld der Möglichkeiten“. Schon jetzt aber müßten die Kommunen begreifen, daß die Kultur „ins Zentrum der Politik rücken“ müsse.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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