Von Bernd Berke
Köln. Ein Ausstellungs-Glücksfall in der Domstadt: Die meisten gezeigten Arbeiten sind so gut wie unbekannt, die Epoche, aus der sie stammen, ist jedoch allgemein anerkannt. „Skulptur des Expressionismus“, ab heute in Gestalt von 125 plastischen Arbeiten von 33 Künstlern in der Kölner Kunsthalle zu sehen (bis 26. August, Katalog 38 DM), schließt eine bislang kaum bewußt gewordene Lücke in der Kunstgeschichte.
Vermutlich kein Zufall, daß dies gerade jetzt geschieht. Allerneueste Bildhauerei knüpft ja – wie jetzt in der bewußt parallel zur Kölner Ausstellung gezeigten Duisburger Schau „Bella Figura“ zu sehen –nicht selten beim Expressionismus an.
Wohl zählt die Malerei jener Stilrichtung längst zum unverzichtbaren Grundstock aller größeren Museen, doch daß z. B. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde auch plastische Meisterwerke schufen, ist noch nie in dieser Breite demonstriert worden. Köln ist die einzige Station der „bahnbrechenden“ Schau (US-Kommentar) in Europa. Zusammengestellt wurden die aus 70 Museen und PrivatSammlungen stammenden Exponate (Entstehungszeit: 1907 – 1925) vom Los Angeles County Museum of Art. Dabei tauchten sogar verschollen geglaubte Werke wie etwa Kirchners „Tänzerin mit Halskette“ (1910) wieder auf.
Die landläufige Vorstellung, expressionistische Plastik sei im Wesentlichen mit den Namen Barlach und Lehmbruck abgetan, kann angesichts dieser Ausstellung kaum aufrecht erhalten werden. Gewohnte Auffassungen müssen differenziert werden, denn gerade die bis dato nur als Maler berühmten „Brücke“-Mitglieder vollzogen entschiedene Abkehr von den Leitfiguren.
Schon die Wahl des Materials (Barlach bevorzugte Bronze und Stein) macht einigen Unterschied aus. Heckel und Kirchner bearbeiteten Holz und setzten dessen Eigen Struktur als bildnerisches Mittel ein. Ihre meist blockhaften, ungeglätteten Figuren mit versunkenen oder ungestümen, immer aber „elementaren“ Gesten entstanden nach dem Vorbild afrikanischer Plastik. Naturproportionen werden gestaucht oder ins Längliche verzerrt, die Form dient dem Ausdruck psychischer Grenzsituationen.
Alle Versuche, den Expressionismus überhaupt als einheitliche Stilrichtung zu beschreiben, enthüllen sich hier als bloße Hilfskonstruktioneu. Zwar haben die Ausstellungsmacher auch Randfelder (etwa Archipenko oder Gerhard Marcks, jeweils mit gewisser Berechtigung) einbezogen, doch auch ohne diese Ausdehnung wären die Stilprägungen unterschiedlich genug. Rudolf Bellings Arbeiten etwa atmen mindestens ebensoviel konstruktivischen Geist wie expressionistischen (z.B. „Schreitender“, eine aus technoiden Formelementen gestaltete Figur). Christoph Voll wiederum widmet sich (ähnlich wie Käthe Kollwitz) sozialer Thematik.
Eine Entdeckung dieser Ausstellung ist der Schweizer Hermann Scherer, ein Adept Kirchners. Seine monumentalen Liebespaar-Figuren sind von selten erreichter erotischer Vitalität, seine als Dreiergruppe aufragende »Totenklage“ (1924/25) ist eines der eindruckvollsten Stücke der ganzen Ausstellung.