2011 im Rückspiegel: Schöner scheitern mit Patricia Görgs „Handbuch der Erfolglosen“

Cover Download Berlin Verlag War 2011 der Anfang vom Ende? Oder doch bloß der übliche Schlamassel? Diese Frage stellt der Berlin Verlag auf seiner Internetseite zum Handbuch der Erfolglosen. Eine provokante Frage, welche man angesichts der überbordenden Fülle der Ereignisse des Vorjahres berechtigt stellen kann. Die aufgespannten Rettungsschirme, der Tod von Osama bin Laden, der „Arabische Frühling“, der Lügenbaron, der Ausstieg aus der Atomkraft – dies nur wenige der Ereignisse, welche die Welt 2011 in Atem hielten.

Die Schriftstellerin Patricia Görg kam der Bitte nach, 2011 ein Tagebuch zu führen und nannte es „Handbuch der Erfolglosen“. Chronologisch greift sie darin zu jeder Kalenderwoche ein mediales Ereignis auf, beschreibt und verdichtet es. Die meisten Geschehnisse lässt sie unkommentiert auf den Leser wirken, nur wenige sind mit (gelungenen) sarkastischen Anmerkungen versehen. Erschrocken stellt man fest, wie viele Ereignisse man fast schon wieder vergessen hat, obwohl ihre Schatten bis heute Politik, Leben und Wirtschaft verdunkeln. Diesen Ereignissen stellt Patricia Görg Begebenheiten gegenüber, die sie selber erlebt oder beobachtet hat. Sie besuchte Ausstellungen, hörte Gesprächen zu, schaute sich Kinofilme an.

Die Reflektionen wirken zunächst nicht zusammenhängend, die Spiegelungen, die sie zeigen wollen, sind nicht immer klar ersichtlich. Eins jedoch eint sowohl die kalendarische Rückschau als auch die dagegengesetzten Fragmente. Es geht immer ums Scheitern. Gescheitert an Großmannssucht, an Gefallsucht, an Überschätzung, an mangelnder Kenntnis. Einige Gescheiterte werden gnadenlos auseinandergepflückt, andere wiederum dürfen sich über Verständnis und Mitgefühl freuen. Der einzige, der nicht in diese Schublade passt, ist Olli „Dittsche“ Dittrich, dem eine liebevolle Hommage an seine „kunstvolle Mentalakrobatik“ gewidmet ist. Klar ist nach der Lektüre: Scheitern gehört zum Leben, man darf scheitern, man sollte es sich aber auch eingestehen und daraus lernen.

Weniger klar bleibt dennoch bis zum Schluss die hinter diesem Buch stehende Intention. Es ist zwar nicht unspannend, das Jahr 2011 aus einer anderen Perspektive zu betrachten, dennoch erschließen sich bei weitem nicht alle Verknüpfungen und bleiben seltsam distanziert voneinander stehen. Mehr noch, manche irritieren arg. So die schon im Klappentext angekündigte Geschichte vom Großmann, der gerne die ganze Wirklichkeit für zwei Pfennige kaufen möchte. Was die Geschichte von Georg, Maria und ihrer Hütte in einem Handbuch zu 2011 zu suchen hat, hat sich mir nicht erschlossen. Natürlich kann man eins und eins zusammenzählen und natürlich hat Herr Großmann im letzten Jahr eine größere Rolle gespielt als weithin angenommen. Aber die Geschichte mit der Georgsmarienhütte, die in eine leicht zu durchschauende Parabel gepackt wird, ereignete sich 1997. Auch das unzusammenhängend auf Expo-Planeten hinweisende Geleitwort trägt nicht zur Erhellung bei.

Das Buch ist nicht ohne Reiz. Es ergibt sicher Sinn, ein Jahr auch in der Rückschau quer zu lesen und aus einem anderen Blickwinkel, in andere Zusammenhänge gestellt, zu betrachten. Diese Art von reflektierter Rückschau scheint gerade groß im Kommen zu sein. Im August erschienen die datierten Notizen von Peter Sloterdijk. Ein Vergleich damit drängt sich auf, diesen wird die Autorin aushalten müssen.

Patricia Görg: „Handbuch der Erfolglosen“. Berlin Verlag, 144 Seiten, €19,90

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