Festspiel-Passagen IX: Lust am Neuen und Seltenen

Während Händel mittlerweile im Repertoire der Opernhäuser eine wichtige Rolle spielt, gibt es bei anderen Komponisten von Weltgeltung noch einiges zu entdecken. Unermüdliche Arbeit für Gioachino Rossinis breit gefächertes Opernschaffen leistet seit Jahren das Rossini Festival in Bad Wildbad. Intendant Jochen Schönleber legt besonderen Wert auf Sänger, die den zum Teil exorbitanten Ansprüchen Rossini’scher Partien entsprechen. In den vergangenen Jahren hat das Festival manchem jungen Belcantisten zum Durchbruch verholfen.

In Rossinis kurzer Farce „Adina ossia Il Califfo di Bagdad“ ließ vor allem eine Nebenrolle aufhorchen: Christopher Kaplan als Ali – Mitglied des Jungen Ensembles der Semperoper Dresden – verbindet darstellerische Präsenz mit einem wohlgeformten Tenor. Auch Rosita Fiocco würde man gerne wieder hören, auch wenn die Koloraturen noch etwas schwer im Ansatz gebildet sind. Antonio Petris‘ Regie bemühte sich ohne Erfolg, dem Werk eine interessante Seite abzugewinnen. Ausnahmsweise mal ein Rossini, der für die Bühne zu Recht vergessen werden kann.

Gioachino Rossini. Historische Aufnahme von Nadar (eigentlich Gaspard-Félix Tournachon)

Gioachino Rossini. Historische Aufnahme von Nadar (eigentlich Gaspard-Félix Tournachon)

2013 wird solches wohl nicht der Fall sein: So wie in diesem Jahr Rossinis „Semiramide“ steht dann das monumentale Abschlusswerk von Rossinis Opernschaffen im Programm: „Guillaume Tell“, konzertant und so vollständig wie möglich. Ein geradezu vermessenes Vorhaben; eine Herausforderung, der man sich in den Staatsopern-Sphären von Berlin oder München bisher nicht zu stellen wagte.

Auf keinen Fall wieder in die Geschichte zurücksinken sollte die andere Rarität des Wildbader Festivals 2012: „I Briganti“ ist eine nach Schillers „Räubern“ entworfene Oper Saverio Mercadantes. Uraufgeführt 1836 in Paris, war sie ein von Rossini unterstützter Versuch, Paris für diesen damals in Italien weithin bekannten Kollegen zu gewinnen. Ein Projekt, das trotz exquisiter Sängerriege scheiterte: Mercadantes konservativer Ansatz, zu sehr dem italienischen „Melodramma“ verpflichtet, konnte sich gegen die moderne Oper Giacomo Meyerbeers nicht durchsetzen.

Wildbad versuchte, das Stück erstklassig zu besetzen. Unter der wenig geschmeidigen, metrisch oft schematischen Leitung von Antonino Fogliani boten die Virtuosi Brunenses aus Brünn kaum mehr als eine solide Unterstützung der Solisten. Der hoch gelobte Tenor Maxim Mironov war als Ermano den virtuosen Anforderungen seiner Partie gewachsen, aber die Stimme hat Stetigkeit und warmen Klang zu gewinnen. Petya Ivanova als Amelia agiert wie eine Diva der fünfziger Jahre; ihre Stimme verliert im Lauf des Abends den Kontakt zum Körper, wird hart, dünn und im Klang prekär.

Bruno Praticó, der alte Haudegen, zeigt, wie es geht: Als alter Graf Moor entfaltet er im Duett mit seinem Sohn Ermano wundersam die Aura des technisch zuverlässigen Singens mit schier endlosen Bögen und sprechendem Klang. Die Regie ließ die Akteure alleine, die sich mit allen Peinlichkeiten abgelebter Opern-Gepflogenheiten über Wasser hielten und ständig auf den Dirigenten starrten. Mercadantes Oper aber sollte wegen ihrer dramatischen Anlage und ihrer feurig-sensiblen Musik einen Weg zu weiteren Inszenierungen finden.

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Weiter im Süden, in der Ostschweiz, brachten die siebten St. Galler Festspiele Hector Berlioz‘ „La Damnation de Faust“ auf die weiträumige Freilichtbühne vor der Kulisse der barocken Stiftskirche. Carlos Wagner inszenierte die „Legende dramatique“ als Welttheater mit Méphistophéles als Zirkusdirektor. Das wirkte nicht willkürlich bunt, sondern entspricht dem Charakter der Stücks.

Stellenweise verwies die Inszenierung den Zuschauer auf farbige Zeit-Panoramen und epische Großbilder, wie sie in Romanen von Charles Koster (Ulenspiegel), Victor Hugo (Der Glöckner von Notre Dame) oder Umberto Eco (Der Name der Rose) geschildert sind. Die Fantasie der Kostüme (Ariane Isabell Unfried) verhinderte peinliche Anklänge an Monumentalfilm-Ausstattungen; die Spielfläche (Rifail Ajdarpasic) mit ihren verschiedenen Ebenen und Plateaus ließ bewegungsreiches „Augenfutter“ zu. Dass er am Ende in einem Hamsterrad endet, lässt Méphistophéles ein wenig wie den betrogenen Teufel erscheinen: Sein Werk, Menschen – hier mit Hilfe von Marguerite als dienstbarem Geist – zum Bösen zu verführen, ist eine Sisyphusarbeit, die dank göttlicher Gnade und Barmherzigkeit zum vergeblichen Mühen verurteilt ist.

Berlioz‘ farbige und klanglich subtile Partitur eignet sich nicht für eine Freilicht-Produktion, bei der das Sinfonieorchester St. Gallen unter der Bühne sitzt und mittels Lautsprecher verstärkt wird. Da mag sich Dirigent Sébastien Rouland noch so um die Finessen mühen: Der Klang bleibt oft grob und eindimensional. In den Opern der letzten Jahre, von Gaetano Donizettis Sintflut-Rarität „Il Diluvio universale“ über die frühen Verdi-Opern „Giovanna d’Arco“ und „I Lombardi alla prima crociata“ – heuer in Erfurt bei den Domstufen-Festspielen wieder aufgenommen – war das weniger problematisch, weil deren Partituren nicht so visionär klanglich gearbeitet sind wie die Musik des französischen Orchester-Revolutionärs. Mit Verdis selten gespielter Oper „Attila“ steht Sankt Gallen im Juni/Juli 2013 – im 200. Geburtsjahr Verdis – wieder auf der sicheren Seite (Premiere am 21. Juni 2013).

In Nürnberg rückten die Internationalen Gluck-Opern-Festspiele zum vierten Mal einen Komponisten ins Blickfeld, der hohe akademische Ehren genießt, im Bühnenalltag aber nicht allzu häufig präsent ist. Dass es nicht an stiller Einfalt und edler Größe liegen kann, zeigte das Staatstheater Nürnberg mit einer bestürzend konsequenten Aktualisierung von Glucks „Ezio“. Das finstere Machtspiel verlegte Andreas Baesler – in Nordrhein-Westfalen durch Regiearbeiten in Gelsenkirchen, Essen oder Münster kein Unbekannter – in die Überdrussgesellschaft einer außer Rand und Band geratenen Wohlstandszeit.

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Erpressung, sexuelle Gewalt, Mord gehören zum Verhaltensrepertoire. Ein derart geschärftes, in die Gegenwart geholtes antikes Drama lässt nicht kalt. Zumal der Schauplatz passt: Hermann Feuchter und Lilith-Marie Cremer bauten in der Theater-Tiefgarage hölzerne Verschläge, bei denen nicht klar war, ob die Darsteller oder die Zuschauer Gefangene oder Gaffer sind.

Die Darsteller agierten auf gefährliche Weise präsent, und die Musiker der Accademia Bizantina, der Neuen Nürnberger Ratsmusik und der Nürnberger Musikhochschule gaben unter Leitung von Nicola Valentini Glucks Musik trotz der akustischen Probleme Schlagkraft und Kontur. Eine tiefsinnige Choreografie des immer erfolgreicher agierenden Nürnberger Ballettchefs Goyo Montero zum ewigen Mythos des Don Juan und eine konzertante Aufführung der Oper „Das Goldene Vlies“ des gebürtigen Nürnbergers Johann Christoph Vogel (1756 bis 1788) rundeten die Festspiele zu einer kurzen, aber entdeckungsreichen Zeit. Peter Theiler, bis 2008 Intendant des Musiktheaters im Revier, hat bisher immer wieder Opern für die Bühne wiederentdeckt. So bleibt zu hoffen, dass er seine Linie 2014 – im 300. Geburtsjahr Glucks – mit ebenso viel Lust am Neuen und Ungewöhnlichen fortsetzen wird.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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