Mütter als Landschaften – Arbeiten von Henry Moore in Marl

Von Bernd Berke

Marl. Zwei Themen ziehen sich wie rote Fäden durch das Werk von Henry Moore. Der berühmte britische Bildhauer formte immer wieder liegende Figuren, und er kam so häufig auf das Thema „Mutter und Kind“ zurück, daß man geneigt ist, darin eine Art Besessenheit zu sehen.

Um so erstaunlicher, daß noch kein einziges Museum auf die Idee gekommen ist, die Mutter-Kind-Darstellungen zum Leitgedanken einer Moore-Ausstellung zu machen. Insofern kann das Skulpturenmuseum „Glaskasten“ in der Revierstadt Marl jetzt mit einer Weltpremiere aufwarten.

Die Marler Ausstellung „Henry Moore: Mutter und Kind“ – sie umfaßt 28 Skulpturen, 27 Zeichnungen und 20 Graphiken – ist noch dazu einem immensen Zufall zu verdanken. Der „Glaskasten“ besitzt nur eine Moore-Zeichnung, einen Mädchenakt von 1923. Ausgerechnet diese Arbelt war der ansonsten hervorragend unterrichteten Henry-Moore-Foundation (Stiftung) noch unbekannt. Aus Dankbarkeit für den Marler „Fund“ sandte die Stiftung sämtliche Exponate für diese Ausstellung. Weitere Besonderheit: Altbundeskanzler Helmut Schmidt, seit langem Bewunderer Moores, wird auf ausdrücklichen Wunsch des Künstlers die Ausstellung am Samstag um 11 Uhr eröffnen.

Henry Moore hat das uralte Motiv „Mutter und Kind“, das in Form von Madonnen-Darstellungen auch zum Grundbestand der religiösen Kunst gehört, in einer ungeheuren Variationsbreite künstlerisch umgesetzt. Nicht immer geht es idyllisch zu: In der Skulptur „Mutter und Kind“ von 1953 etwa scheinen gezackte Köpfe einander zerhacken zu wollen, die Mutter setzt gar einen Würgegriff am Hals des Kindes an.

Meist aber werden Vorstellungen einer schützenden „Mutter Erde“ heraufbeschworen, bzw. solche von einem „schützenden Prinzip“, einer Zuflucht für die Kreatur schlechthin. Die Frauengestalten gleichen dann Landschaften mit bergenden Höhlenformationen, auf und in denen Kinder Schutz suchen oder herumtollen. Moore hat dabei jede nur denkbare Abschattung zwischen Nähe, Loslösung und Feindseligkeit zum Ausdruck gebracht.

Die Ausstellung dauert bis zum 13. Januar 1985, der Katalog kostet 20 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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