Bootsfahrt in die Tyrannei – Ayckbourn-Stück „Stromaufwärts“ als deutsche Erstaufführung in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Diese Idee des Briten Alan Ayckbourn ist schon ein mittelschwerer Geniestreich: Theateraktion ganz auf ein begrenztes Bootsdeck zu konzentrieren, auf dem zwei Ehepaare „stromaufwärts“ fahren. Symbolische Überhöhung liegt nahe. Die Flußreise steht für die „Lebensfahrt“. Auch schaffen Bedrängnis und Isolation auf dem Boot ideale Anlässe für Konfliktexplosion. Der Kahn wird zum schwimmenden Sozial-Labor.

Wie schwer all dies jedoch auf die Bühne zu bringen ist, das bekam das Wuppertaler Ensemble bei seiner deutschsprachigen Erstauffûhrung von Ayckboums „Stromaufwärts“ (Regie: Dieter Reible) zu spüren. Denn die Beschränkung des Spiels auf das Boot erzwingt eine Übermittlung fast aller „bewegenden“ Momente durch Gestik und Sprache. Über derlei Erfordernisse triumphieren in Wuppertal oftmals bühnentechnische Mätzchen. Das Boot kreuzt munter über die Bühne, und seitwärts, am imaginären Festland, gleiten auf einer elektrischen Schiene gar Gegenstände und Personen vorüber, als könne man nichts der Vorstellungskraft überlassen.

Zum Inhalt: Besagte Ehepaare, die Männer Compagnons in einer Firma, entern erholungshalber das Boot. Urlaub verheißt Freiheit, doch das Gegenteil ist hier der Fall. Keith schwingt sich zum Käpt’n auf, kommandiert herum. Er zehrt von hohl gewordener Autorität – ein Unternehmer alten Schlags, kampfbereit gegen „Gewerkschafts-Umtriebe“, die derweil seinen Betrieb bedrohen. Keith‘ Frau June ist ein an jeder Reiseunbill herummäkelndes Luxusweib. Der schwächliche Alistair und seine schutzbedürftige Frau Emma vervollständigen das Unglücksquartett.

Zunächst geht die Wuppertaler Aufführung recht zügig vonstatten. Komödien-Effekte, freilich weniger die hintergründigen, werden so recht herausgebracht. Maria Pichler als vom Ehe-Ekel angewiderte „June“ setzt Akzente.

Aber diesen Ayckbourn darf man nicht nur leicht nehmen. Gleichsam Flußgott und Seeungeheuer in Personaluniuon, so taucht bei einer Bootspanne „Vince“ als teuflischer Retter aus den Wassern auf. Der kraftstrotzende Naturbusche mit dem Appeal eines Fremdenlegionärs bringt die überkommene „Ordnung“ auf dem Schiff zum Einsturz und errichtet daselbst ein Terrorregime. Daß er sich dazu anfangs nautischen Fachwissens bedient, wird offenbar unterschätzt. Denkbar nämlich, diese Figur mit Merkmalen eines durch Expertentum herrschenden Haifischs unserer Tage auszustatten.

Das Stück müßte nun jedenfalls eine bedrohliche, fast surreale Dimension gewinnen. Dies aber geschieht nur umrißhaft, nicht zuletzt weil Bernd Kuschmann als „Vince“ sein Draufgängertum eher als lässiger Frauenverfûhrer denn als Furcht gebietender Tyrann ausleben darf.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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