Experte: „Löwen-Evangeliar“ wird Ausstellungen nicht schadlos überstehen – Vorschlag: „Lieber eine Kopie zeigen“

Von Bernd Berke

Bremen. Gerhard Knoll schlägt Alarm: „Das Evangeliar Heinrichs des Löwen wies bereits beim Kauf deutliche Schäden auf. Um das zu merken, muß ich nur flüchtig die Abbildung im Auktionskatalog ansehen.“ Schlimmer noch: Wenn das „teuerste Buch der Welt“ demnächst – wie beabsichtigt – an mehreren Ausstellungsorten gezeigt werden sollte, werde es „wohl noch weit schwereren Schaden nehmen“.

Gerhard Knoll ist Leiter der Handschriftenabteilung und der Restaurierungswerkstatt der Bremer Uni-Bibliothek. Der Experte ist über Zustand und Erhaltung der im Dezember 1983 für 32 Millionen Mark bei „Sotheby’s“ in London ersteigerten mittelalterlichen Handschrift besorgt.

Knoll, der ausdrücklich „nur als Privatperson zitiert werden“ mag, gestern zur WR: „Falls das Original gezeigt wird, gibt es einen spektakulären Zuschauerandrang. Keine Klimaanlage verkraftet das.“ Stücke wie das Evangeliar seien aber höchst klimaempfindlich; das Pergamentpapier vertrage kaum Temperatur-Schwankungen. Die großen Wittelsbacher- und Staufer-Ausstellungen hätten zum Beispiel eindeutig Schadspuren an den Exponaten hinterlassen.

Allein die Beleuchtung setze den im Mittelalter aufgetragenen Farben mächtig zu. Gerhard Knoll: „Ganz übel wird es, wenn ein Stück auf Tournee geht. An jedem Ort herrschen andere Bedingungen.“ Das teure Evangeliar werde dann einem klimatischen „Wechselbad“ ausgesetzt. Vermutliche Folge: „Die Handschrift wäre ein für allemal dahin, denn es gibt für solche Stücke noch immer keine erfolgversprechenden Restaurierungs-Methoden.“

Knoll fürchtet, daß Politiker, die die Ersteigerung des Evangeliars veranlaßt haben, solche Warnungen in den Wind schlagen werden: „Die Herren werden ihre kulturelle Großtat gebührend feiern und die Handschrift möglichst oft herzeigen wollen“, schwant es dem Fachmann. Knolls Vorschlag: Schnellstens ein Faksimile (getreue Nachbildung) erstellen, damit Wissenschaftler sich an die Auswertung begeben könneu. Und weiter: „Mit einem Faksimile könnte man auch schöne Ausstellungen machen.“ Zu behaupten, der Steuerzahler habe ein Recht, das Original zu besichtigen, sei unsinnig. Knoll: „Der Steuerzahler finanziert so manches – und bekommt es dann nie zu sehen.“

Den Einwand, daß etwa das Land Bayern seinen Anteil am Kaufpreis sperren könnte, sollte das Original nicht auf seinem Boden zu sehen sein, läßt Knoll nicht gelten: „Da wird sich eben zeigen, ob ein kulturpolitischer Propaganda-Effekt höher bewertet wird als die Erhaltung eines historischen Dokuments.“

Knoll, der sich wegen seiner kritischen Anmerkungen an seinem Wohnort Bremen schon mit einer Gegendarstellung in der örtlichen Presse hat auseinandersetzen müssen, schätzt den Wert des Heinrichs-Evangeliars auch in dessen gegenwärtigem Zustand eher zurückhaltend ein: „Es gibt qualitätvollere Evangeliare.“ Der für das „Löwen“-Evangeliar gezahlte hohe Auktionspreis bringe jedenfalls „den ganzen Markt durcheinander“. Daraus schöpft Knoll allerdings auch eine schwache Hoffnung: „Vielleicht muß die Versicherungssumme so hoch angesetzt werden, daß man doch auf mehrere Ausstellungen verzichtet.“

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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