Von Bernd Berke
Braunschweig. Heinrich der Löwe (1129 bis 1195) bekommt jetzt in Braunschweig „Personenschutz“. Zwei Polizeibeamte flankierten schon gestern die Vitrine mit dem teuersten Kunstwerk der Welt – dem am 6. Dezember 1983 in London für rund 32 Millionen DM ersteigerten „Evangeliar Heinrichs des Löwen“. Jetzt, genauer ab Samstag, wird das kostbare Stück, um dessen Finanzierung es seinerzeit so viele Querelen gab, erstmals der breiten Öffentlichkeit gezeigt.
Grandioser Rahmen ist die niedersächsische Landesausstellung „Stadt im Wandel“ im Braunschweigischen Landesmuseum (Vieweghaus) und in der Burg Dankwarderode (dort befindet sich das Evangeliar). Sie zeigt mit weit über 1100 Exponaten einen überwältigenden Querschnitt durch Alltag, Kunst und Kultur zwischen 1150 und 1650 im norddeutsehen Raum.
Das um 1175 herum entstandene „Löwen“-Evangeliar, dessen Präsentation nicht die einzige, wohl aber die hervorstechende Sensation dieser Schau ist, wird hier in breiter Darstellung des Zeithintergrunds, als Dokument einer – das Wort sei gestattet – „Wende“ der deutschen Geschichte vorgeführt.
Da das Evangeliar ein (seinerzeit dem braunschweigischen Dom gestiftetes) Buch ist, können nur zwei der 31 Farbbilder aufgeschlagen gezeigt werden. Das wohl wichtigste zeigt die Krönung Heinrichs des Löwen unmittelbar durch Gottes Hand – wobei die beauftragte Werkstatt des Benediktinermönchs Heriman kurzerhand überging, daß Heinrichs Vetter, Friedrich I. (Barbarossa), dazumal Kaiser war.
Die seit 1979 vorbereitete, 10 Millionen DM teure Ausstellung als Ganzes ist natürlich auch aller Rede wert. Noch nie wurden beispielsweise so viele religiöse Kunstwerke aus Norddeutschland zusammengetragen wie hier. Leihgaben aus aller Welt, darunter auch ein Bronzekruzifix (1120) aus dem Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte, machen es möglich.
Vom Spitzenkunstwerk bis zur scheinbaren Banalität (Dokumentation der Wasserversorgung einer mittelalterlichen Stadt) wird hier ein denkbar breites Panorama der Entwicklung von den frühen Stadtgründungen bis zur Zeit des Westfälischen Friedens ausgebreitet.
Hier ein grober Überblick: Sechs Abteilungen gliedern die riesige Fülle der Exponate. Am Beginn steht die Entwicklung der Städte, die wiederum in sieben Stadttypen untergliedert ist. Für diesen Teil wurden eigens einige Stadtmodelle neu gebaut. Alte Ansichten und Stiche veranschaulichen die zeitgenössische Sicht. Auch gemalte Szenen der christlichen Heilsgeschichte verraten manches über die Struktur mittelalterlicher Städte, da die Künstler das biblische Geschehen oftmals in ihre eigenen Umgebung verlegten.
Die zweite Abteilung gewährt einen Einblick in „Haus und Familie“. Ganze Ensembles, so die Wohnung eines Zinngießers aus Göttingen, vermitteln hier greifbares Ambiente. Hausrat, Kleidung und Schmuck sind weitere Stichworte dieser Abteilung. Aber auch Phänomene wie der Pesttod und Armut der Bevölkerung werden nicht ausgespart.
„Frömmigkeit und Bildung“: Vom Wallfahrts- und Pilgerwesen bis hin zum Tintenfaß wird das ganze Feld der zunächst kirchlich geprägten, dann zunehmend weltlichen Bildung abgeschritten. Für Revierbewohner interessant: Der Bergbau im Harz ist einer der Schwerpunkte der Abteilung „Handwerk und Handel“. Werkzeuge, Planzeichnungen und Produkte runden das Bild aus diesem Lebensbereich ab.
Die Abteilung „Rathaus und Politik“ widmet sich Bereichen wie Archivführung und Justiz, zeigt aber auch prachtvolles Ratssilber. Endpunkt und wohl auch Höhepunkt ist schließlich die „kirchliche Kunst des Mittelalters“. Reliquienbehälter, spätgotische Skulpturen, Ausstattungen von Altären und Buchmalereien des 12. und 13. Jahrhunderts sind hier zu finden.
Die Ausstellung dauert bis zum 29. November (täglich 10 bis 19 Uhr, freitags 10 bis 22 Uhr). Zwei Katalogbände 75 DM / zwei Aufsatzbände 61 DM / Kurzführer 10 DM.