2568 Fotos stellen die TV-Realität in Frage

Von Bernd Berke

Bonn. Unsere vom Fernsehen entscheidend umgeprägten Sehgewohnheiten stellt ein Mammutwerk dar, das jetzt in der Bonner Kunsthalle zu sehen ist.

Sein Urheber, der 33-jahrige Wahl-Düsseldorfer Klaus Mettig, muß sich einer beachtlichen TV-Nachrichtenberieselung unterzogen und dabei seinen Fotoapparat stets „schußbereit“ auf den Bildschirm gerichtet haben. So entstanden Tausende von Schwarz-Weiß-Bildern, „eingefrorene“ Mattscheiben-Momente, von denen Mettig exakt 2568 Stück zu riesigen Bildwänden zusammenfügte.

Die schier endlose Fotoreihe (alle Bilder dicht an dicht, im einheitlichen Rechteckformat), die sich in Bonn durch eine ganze Raumflucht zieht, war bisher nur im holländisehen Eindhoven komplett und auf der „documenta 7″ in Teilen zu sehen.

Man mag an das kürzlich von Bodo Harenberg in Dortmund präsentierte Geschichts-Allerlei „Monumenta ’83“ denken. Aber: Was beim ersten Hinsehen wie eine gestaltlose Addition oder bloße Anhäufung wirkt, enthüllt sich hier bei näherer Betrachtung als listenreicher Kommentar zur gewohnten Mediennutzung: 2568 Ausschnitte aus der TV-„Realität“ – das sind zahllose pompöse Staatsakte, geschniegelte Nachrichtenverleser, lakonische Schrifteinblendungen zu Katastrophen, garniert mit Börsentabellen, dazu Kriege, Demonstrationen, Porträts der Mächtigen und Massenszenen mit den Ohnmächtigen.

Dies alles, so legt es Mettigs schmucklose Aufreihung nahe, wird über den gleichen Medienleisten geschlagen, somit eingeebnet und sämtlich gleichermaßen (un)wichtig oder (un)wirklich. Was, etwa als „Tagesschau“ oder „Heute“, schnell und gnädig am Zuschauer vorüberflimmert, ist hier von unerbittlicher Statik.

Die optische Kürzelsprache der Nachrichtenvermittlung, sonst kaum noch bewußt, wird in ihre Einzelteile zerlegt. Und seltsam: Man bekommt so etwas wie Mitleid, nicht nur mit den „behandelten“, sondern auch mit den handelnden Personen der Zeitgeschichte – so hilflos und verloren wirken die Gesichter der Machthaber im fotografisch gestoppten Fernsehbild.

Kunstmuseum Bonn, Rathausgasse 7, bis 4. September

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 13 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Fernsehen und Hörfunk, Fotografie, Kunst & Museen abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.