Neu in Wuppertal: Museum für Frühindustrialisierung

Von Bernd Berke

Wuppertal. Der Weg führt durch eine Gasse zwischen Stellwänden. Plötzlich weitet sich der Raum, und man steht vor dem Modell eines Bürgerhauses. So sinnfällig stellt das neue und bundesweit einzige „Museum für Frühindustrialisierung“, das am Sonntag in Wuppertal seine Pforten öffnet, nicht nur den Gegensatz zwischen Enge und Großzügigkeit von Arbeiter- und der Bürgerviertel dar.

„Anfassen erwünscht!“, lautet das Motto in dem alten Fabrikgebäude, das nun mit dem direkt benachbarten Engels-Haus Wuppertals „Historisches Zentrum“ bildet. Im Blickpunkt steht die Zeit zwischen 1780 und 1850, als speziell der Wuppertaler Raum ein Zentrum der Frühindustrialisierung war, bevor die Region in Sachen Industrialisierungsgrad vom Ruhrgebiet überholt wurde.

Was man hier auf gut 500 Quadratmetern in vorerst drei Etagen an eindrucksvollen Zeugnissen des Übergangs von handwerklicher zu industrieller Fertigungsweise zusammengetragen hat, nennt Museumsleiter Michael Knieriem – in Anlehnung an den Begriff Industrie-„Archälogie“ – „Leitfossilien der Industrie-Entwicklung“.

Im Eingangsbereich hängt eine alte Stechuhr, Symbol für Zwangsverhältnisse in der Arbeitswelt, deren Relikten die nächsten Räume gewidmet sind. Es beginnt mit dem Nachbau eines Textilkontors von 1840, mit historischen Spinnmaschinen und Webstühlen, vom handbetriebenen 1840er Exemplar bis zu automatisierten Modellen.

Sodann wird die Entwicklung vom nüchternen Zweckbau zum protzigen Fabrik-„Schloß“ nachvollzogen. Auch Alltagsgeschichte, so etwa Wohnverhältnisse und Eßgewohnheiten der Mensehen, wird anschaulich dargestellt. Überhaupt zeichnet sich dieses Museum dadurch aus, daß nicht bezuglos hingestellte Maschinen seinen Kern ausmachen, sondern Interesse für die Veränderungen, die das Leben der Menschen durch die Maschine erfuhr. Klar, daß in diesem Zusammenhang auch Wuppertals berühmtester Sohn, Friedrich Engels, nicht Übergängen wird.

Der Besucher soll in die Lage versetzt werden, sich die Ausstellungsstücke „selbst anzueignen“ – durch Lektüre der Begleittexte, mit Hilfe einer Diaschau, durch Beobachtung der Maschinenbewegungen, durch Beschäftigung mit Originalschriftstücken und graphisch hervorragend gestalteten Schautafeln. Auch die Spielfreude kommt nicht zu kurz: Bildern aus der Wuppertaler Vergangenheit sollen Fotos von heute zugeordnet werden. Erster Preis: Die Erkenntnis, daß historische Bauten fast restlos verschwunden sind.

Erstaunlich die niedrigen Kosten für die 1979 im Rat beschlossene Einrichtung: alles in allem 1,6 Mio. DM, davon rund eine Million vom Landschaftsverband Rheinland.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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