Alles mehrt sich mehr und mehr

Es nervt seit geraumer Zeit und sicherlich haben schon Leute darüber geschrieben. Doch sei’s drum. „Wiederholung schafft Verständnis“, wie es unter scherzbereiten Journalisten heißt, wenn sie drauf und dran sind, eine Doublette zu verzapfen.

In den Zeitungen grassiert seit jeher, doch selbstredend zunehmend, also immer mehr das „Immermehr“ (etwa so: „Immer mehr Blondinen unter 25 gehen zum Schönheitschirurgen“, „Immer mehr Päpste wohnen im Vatikan“ o. ä.), auch wenn es nur um erstunkene Bruchteile von Steigerungsprozentsätzen geht. Der Herr gebe ihnen ihre tägliche Trendgeschichte. Mega. Turbo. Jumbo. Hechel. Lechz.

(Foto: Bernd Berke)

(Foto: Bernd Berke)

Das erbarmungswürdig schlichte Mehr (gern auch in schenkelklopfträchtigen Wortspielen mit „Meer“ verballhornt, so wie Leere und Lehre allzeit miteinander als Flachwitze krepieren) ist also immerzu – aaargh! – „angesagt“.

Folglich benennen Hinz und Kunz ihre Projekte nach dem Muster „Kneipe und mehr“, „Haarschnitt und mehr“ oder dergleichen. An jeder zweiten Ecke begegnet einem diese Mehrerei. Es ist zum Haareraufen.

Eins bis fünf und mehr... (Foto: Bernd Berke)

Eins bis fünf und mehr... (Foto: Bernd Berke)

Gibt man die Wortfolge „und mehr“ in die Suchmaschine seines Vertrauens ein, so wird man beispielsweise vorfinden: „Leonardo – Wissenschaft und mehr“ (WDR-Sendung), „Tiergesundheit und mehr“, „Arbeit und mehr“ (Personalvermittlung), „Schilddrüse und mehr“, „Afrika und mehr“ (Reiseangebote) oder „Hefe und mehr“ (Backtipps). Die Zahl der Beispiele ließe sich nahezu beliebig steigern. Wer findet noch absurdere?

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der erste Arzt „Heilen und mehr“ offeriert, Anwaltskanzleien „Klagen und mehr“ verheißen oder ein Bordell mit „Vö**** und mehr“ lockt.

Da wird einem rundum etwas vorgegaukelt. Der so genannten Phantasie wird ein so genannter Spielraum gelassen. „Kneipe und mehr“, das heißt doch eventuell: …und Seelentrost …und Wohlfahrtsinstitut …und Drogenberatung …und Partnerbörse …und Alltagskulturstätte. Und. Und. Und. Kneipe und alles. Oder halt nix.

Stöbert man öfter in Feuilletons, so fällt einem jetzt vielleicht einer der dämlichsten aller Rezensionssätze ein, nämlich dieser hier: „Weniger wäre mehr gewesen.“ Auch malt man sich womöglich den ultimativen Titel einer Kunstschau aus: „Vermeer und mehr“.

Was denn, was denn? Sie lassen gerade den Blick nach oben links auf dieser Seite schweifen? Und Sie finden dort als Untertitel der Revierpassagen die nichtswürdige Floskel „Kultur und mehr…“?

Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das wäre ja peinlich. Da lassen Sie sich mal schleunigst etwas Besseres einfallen!

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Nachtrag am 29. September:

Der Untertitel dieses Blogs lautet jetzt nicht mehr „Kultur & mehr…“, sondern „Kultur & weiteres…“ Auch keine Offenbarung, aber immerhin.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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7 Antworten zu Alles mehrt sich mehr und mehr

  1. Bernd Berke sagt:

    Mach mich nich dat Hemd am Flattern!

  2. Michaela sagt:

    Kultur-Mixtur an Rhein und Ruhr.

    Besonders hübsch: Kultur pur. Oder auch Kultur 2.0 – hihi.

  3. Bernd Berke sagt:

    „Kultur und so“ kommt nicht in die Tüte. Außerdem gibt’s schon die Rubrik „Politik und so“.
    Warum nicht gleich „Kultur plus“? Aua!

  4. Michaela sagt:

    Also, meine Chefin spricht gerne von „zunehmend größer“ oder „zunehmend länger“ und gar „zunehmend mehr“. Ich finde, das ist doch „leer und mehr“!

  5. Rudi Bernhardt sagt:

    Mehr lässt sich über diese inflationäre Häufung des mehr nicht schreiben, auch wenn es inhaltlich nicht darauf hinaus läuft, dass mehrheitliche Teile unserer Gesellschaft mehr verstehen werden als sie wollen (oder können). Für sie bleibt nunmehr kaum mehr als ein ungläubiges Staunen, warum denn der Autor nicht mehr in der Lage zu sein scheint, das Hintersinnige am mehr zu begreifen, wobei doch ganze Mehrscharen von Trustern jede Mehrbelastung ihrer Brains in Kauf nahmen, um dem mehr den werbestrategischen Mehrwert zu verschaffen, der ihm schon lange nicht mehr gebührt. Lieber Bernd, du kannst den Untertitel ja umbenennen, ganz originell in “Kultur und so …”. Aber ich fürchte, das heilt die Sache nicht mehr. Eine Bodywear-Fachmesse heißt übrigens Wäsche & mehr und bei google gibt es fast 2 Milliarden Einträge zum Wörtchen mehr. Mehrchenhaft, woll.

  6. Katrin Pinetzki sagt:

    Kultur und so – im Ruhrgebiet und anderswo.
    Kultur & Co. – im Ruhrgebiet und anderswo.
    Oder: einfach nur Kultur! Wir pflegen den weiten Kulturbegriff, und da gehört halt alles zu.

  7. RudiBernhardt sagt:

    Mehr lässt sich über diese inflationäre Häufung des mehr nicht schreiben, auch wenn es inhaltlich nicht darauf hinaus läuft, dass mehrheitliche Teile unserer Gesellschaft mehr verstehen werden als sie wollen (oder können). Für sie bleibt nunmehr kaum mehr als ein ungläubiges Staunen, warum denn der Autor nicht mehr in der Lage zu sein scheint, das Hintersinnige am Mehr zu begreifen, wobei doch ganze Mehrscharen von Trustern jede Mehrbelastung ihrer Brains in Kauf nahmen, um dem Mehr den werbestrategischen Mehrwert zu verschaffen, der ihm schon lange nicht mehr gebührt. Lieber Bernd, du kannst den Untertitel ja umbenennen, ganz originell in „Kultur und so …“. Aber ich fürchte, das heilt die Sache nicht mehr. Eine Bodywear-Fachmesse heißt übrigens Wäsche & mehr und bei google gibt es fast 2 Milliarden Einträge zum Wörtchen mehr. Mehrchenhaft, woll.

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