Bremer „Tatort“: Alles klar nach 24 Minuten

Lange keinen Bremer „Tatort“ mehr gesehen. Hauptgrund: Meistens war ich von den Krimis mit Inga Lürsen (Sabine Postel) gelinde enttäuscht. Aber gut. Man kann ja mal wieder reinschauen. „Er wird töten“ hieß ihr neuester Fall – und er war so konstruiert, dass man es kaum fassen kann.

Mordopfer ist Lürsens Kollege und allerbester Freund Leo Uljanoff (Antoine Monot jr.), der beim Pinkeln auf der Herrentoilette der Polizeizentrale hinterrücks erstochen wird. Mit ihm wollte die Kommissarin sogar just zusammenziehen. Da wuchs also eine Liebe heran. Alles zerstört.

Niemand ohne Knacks

Natürlich steht Lürsen jetzt unter Schock. Trotzdem will sie den Fall unbedingt übernehmen – und sie darf das tatsächlich, zumindest inoffiziell. Und von wem wird sie unterstützt? Vom Kollegen Stedefreund (Oliver Mommsen), der soeben vom Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt und ebenfalls gespenstisch traumatisiert ist; wie denn überhaupt alle handelnden Personen ihren schweren seelischen Knacks haben.

Kommissarin Lürsen (Sabine Postel) vor an die geschmierter Todesdrohung. Schemenhaft im Hintergrund: Marie Schemer (Annika Kuhl). (Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg)

Kommissarin Lürsen (Sabine Postel) vor an die Wand geschmierter Todesdrohung. Schemenhaft im Hintergrund: Marie Schemer (Annika Kuhl). (Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg)

Das ist wahrlich dick aufgetragen, getreu dem Motto „Warum nicht noch einen draufsetzen?“ Regisseur Florian Baxmeier hat im Vorfeld gesagt, er wolle das Bremer Team einmal an die Belastungsgrenze bringen. Zumindest das ist ihm und dem Drehbuchautor Christian Jeltsch gelungen. Allerdings ging es auch für die Zuschauer nicht ohne Belastung ab.

Trapsende Nachtigallen

Etwa zeitgleich mit dem Mord an Leo ist die verwirrte Ärztin Dr. Marie Schemer (Annika Kuhl) im Präsidium aufgetaucht. Sie stammelt „Er wird töten – wieder und wieder und wieder“ und meint ihren früheren Mann Joseph (Peter Schneider), der vor acht Jahren angeblich die gemeinsame kleine Tochter zu Tode geschüttelt hat und nun aus der Haft freigekommen ist. Es folgt nun Verhör auf Verhör und es wird allseits ungemein viel von Gefühlen geredet. Andere rühmen sich lauthals als „Profis“, doch Inga Lürsen kommt mit Einfühlung und Lebenserfahrung weiter.

Über all den tief gründelnden Psycho-Dialogen geriet die Frage beinahe in Vergessenheit, wer eigentlich so unbemerkt ins Präsidium gelangen konnte. Schon sehr, sehr früh zeichnete sich indes die Lösung ab. Der „Tatort“ hat wegen eines neuerlichen Hochwasser-„Brennpunkts“ erst um 20:30 Uhr begonnen, ich habe 20:54 Uhr notiert, als mir klar wurde, wer es gewesen sein musste – also nach gerade mal 24 Minuten Laufzeit. Vielleicht haben es manche Zuschauer ja noch früher gewusst. Spätestens als man vernahm, dass Marie Schemer ein Verhältnis mit einem Gerichtsmediziner hatte, hörte man einige Nachtigallen trapsen. Und war die Doktorin etwa nicht zur Tatzeit im Präsidium? Aber bis Lürsen und die hektische Sonderkommission auf den Trichter kamen, verging etliche Zeit.

Traurig tropfende Klavierklänge

Jedenfalls nutzten alle Ablenkungsmanöver nichts, mit denen der Verdacht noch mühsam auf andere Figuren gelenkt werden sollte. Es war nur noch Firlefanz.

So konnte man die ganze Angelegenheit alsbald unter „erledigte Fälle“ einsortieren und sich auf die sonstige Machart konzentrieren. Und siehe da: Es gab immerhin einige dicht gewobene Szenenfolgen, die von achtbaren schauspielerischen Anstrengungen zehrten. „Kammerspiel“ statt Action, so hieß die Devise. Warum auch nicht?

Zwischendurch hatte man freilich den Eindruck, dass ungefähr 30 Prozent der Wirkung durch Musik (vorzugsweise traurig tropfende Klaviertöne) und sonstige Geräusche auf der Tonspur beigetragen wurden. Auch wollte einen die Kameraführung mit so mancher Nahansicht ins Geschehen hinein saugen. Dabei entwickelte sich zwischen den Menschen denn doch für Momente jenes Maß an Spannung, das der reine Kriminalfall fast völlig vermissen ließ.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu Bremer „Tatort“: Alles klar nach 24 Minuten

  1. Michaela sagt:

    Ich habe, mir ein Brot schmierend, den Anfang teilweise verpasst (selbst schuld, ich weiß) und schnalle immer noch nicht, wer Frau Dockters Haus versaut hat. Wenn sie doch selber die Böse war. Und überhaupt.

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