Lehmbruck-Museum: Formfindungen zwischen Körper und Geist

In einem Skulpturenmuseum wirken auch solche Lautsprecher-Formationen skulpturenhaft: Blick auf die Klang-Installation „The Forty Part Motet“ (2001, hier noch in Montreal) von Janet Cardiff und George Bures Miller. (© The artists and Luhring Augustine, New York)

Im Duisburger Lehmbruck-Museum stehen für 2022 spannende Ausstellungen auf der Agenda. Das lässt jedenfalls die heutige Programmvorstellung erhoffen. Söke Dinkla, die Direktorin des Hauses, nennt als Leitlinie den Gegensatz (oder auch das Zusammenwirken) von Geist und Materie: Inwieweit bestimmen Gedanken oder eben Gegenstände unser Dasein? Es wird sich zeigen, in welcher Weise die Ausstellungen diesen Grundgedanken einlösen.

Als Skulpturenmuseum, so Dinkla weiter, befasse man sich mit der wohl materiellsten Kunstform überhaupt. Namensgeber Wilhelm Lehmbruck habe sich jedoch besonders die Gestaltung des Seelischen, nicht des Physischen zum Ziel gesetzt. Wir ahnen schon, dass man keinesfalls ohne Mischformen und Wechselwirkungen auskommen wird.

Der Reigen beginnt am 27. März – nicht mit herkömmlichen Skulpturen, sondern mit  vielgliedrig ausgreifenden Installationen von Janet Cardiff und George Bures Miller (beide Kanada), die 2020 den Lehmbruck-Preis bekommen haben. Schon ein paar kurze Filme vermitteln das Gefühl, hier in eine ganz eigentümlich wuchernde Welt einzutauchen. Markantes Beispiel: die Installation „Escape Room“ von 2021, die in Duisburg Europa-Premiere haben wird. Beim Herumgehen zwischen rätselhaften Architektur-Modellen und menschenleeren dystopischen Landschaften lösen die Besucher wechselnde Geräusche aus. Es dürfte eine geisterhafte Erfahrung sein. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass eine solche Arbeit im Verlauf der Pandemie anwachsen konnte.

Auch Installationen wie „The Paradise Institute“ (2001 – ein ins Museum verpflanztes „Kino“ ohne lineare Erzählung, dafür aber mit ortlos wandernden Stimmen) oder „The Forty Part Motet“, ein wandelbarer Klangraum mit im großen Oval angeordneten Lautsprecher-Gruppen, verheißen Erlebnisse, wie man sie eben nur mit Kunst haben kann. Vollends erschreckend ist die Aussicht auf „The Killing Machine“ (2007), die einerseits von Jean Tinguely, zuinnerst aber von Franz Kafka („In der Strafkolonie“) inspirierte Vision einer Folter- und Tötungsmaschinerie, die noch dazu – mitsamt ihren schaurigen Klängen – von Besucherinnen oder Besuchern in Bewegung gesetzt wird. Wer der Aufforderung zum Knopfdruck folgt, macht sich gleichsam mitschuldig.

Der Niederländerin Rineke Dijkstra ist die nächste Ausstellung gewidmet. Sie hat sehr einlässlich junge Menschen, zumeist Mädchen, in der Phase ihrer Selbstfindung beobachtet und hält deren entschiedene Behauptungs-Versuche fotografisch und filmisch fest, so etwa bei mit großem Ernst vollführten Gymnastik-Übungen. Keine pure Körperlichkeit, sondern eine, die letztlich ins Geistige ragt.

Extensive Körperlichkeit, die ins Geistige weist: Antony Gormley „Field“ (© Antony Gormley)

Es folgt eine Präsentation des Engländers Antony Gormley, die auch Zeichnungen umfasst. Gormley ist ein bekennender Verehrer des Lebenswerks von Wilhelm Lehmbruck. Ganz bewusst knüpft er bei dessen Konzepten einer Versenkung ins Innere an und wird sich ausdrücklich mit Lehmbrucks berühmter Figur „Der Gestürzte“ auseinandersetzen. Eine Folgerung, die man auch aus dieser Werk-Begegnung ziehen könnte: Kontemplation und Körperlichkeit sind eben keine schroffen Gegensätze.

Schließlich der Vertreter einer früheren Generation: Norbert Kricke (1922-1984), einstiger Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie. Gezeigt werden einzelne Arbeiten aus dem noch gegenständlichen Frühwerk, sodann aber vor allem abstrakte Gestaltungen, die mit ihren Lineaturen kraftvoll und denn doch geradezu körperhaft in den umgebenden Raum ausstrahlen.

Und sonst? Gibt es ein digitales, einstweilen noch etwas wolkiges „Text-Adventure-Game“ zu Leben und Werk von Wilhelm Lehmbruck sowie Aktionen zur kulturellen Teilhabe, sprich: Es sollen mehr Migranten-Kinder Freude am Museum finden.

Janet Cardiff & George Bures Miller (27. März bis 14. August)
Rineke Dijkstra (13. Mai bis 24. Juli)
Antony Gormley (25. September bis 26. Februar 2023)
Norbert Kricke (18. November bis 26. Februar 2023).

Lehmbruck Museum, Düsseldorfer Str. 51
47051 Duisburg

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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