Häßliche Armut, Schönheit der Kunst – „ArmutsZeugnisse“ im Dortmunder Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn Künstler die Armut darstellen, können sie leicht in eine Falle tappen. Denn jedes bißchen „Zuviel“ an schöner Linie, an ausgeklügelter Form und Ästhetik wird diesem Thema nicht mehr gerecht. Die Ausstellung „ArmutsZeugnisse“ im Dortmunder Ostwall-Museum enthält viele Beispiele für Balancen und Abstürze auf dem schmalen Grat.

Der vom Dortmunder Fritz-Hüser-Institut für Arbeiterliteratur konzipierte (und von einigen Unternehmen gesponserte) Überblick belegt, daß Armut nach der Jahrhundertwende und in den 20er Jahren ein zentrales Feld der Kunst gewesen ist. In der NS-Zeit wurde das Thema unterdrückt, und im Wirtschaftswunder-Optimismus der 50er Jahre wollte niemand mehr daran erinnert werden.

Zu Zilles Zeiten war’s noch nicht so kompliziert

Erst mit den Krisen der 80er Jahre kam das soziale Menetekel erneut auf. Doch nun werden kaum noch direkte Darstellungen riskiert. Auf abstrakten Farb- und Formenwerten – so etwa bei Felix Droese – lasten nun Inhalt und Ausdruck. Dies erweist sich zuweilen als Überfrachtung. Gelegentlich müssen Schriftzüge im Bild das Thema erst benennen. Andere Künstler retten sich in distanzierte Ironie. Ist Armut am Ende gar nicht mehr künstlerisch zeigbar?

Zu Zeiten eines Heinrich Zille und einer Käthe Kollwitz, mit denen der Rundgang beginnt, schien alles einfacher zu sein. Zille gewährt Einblicke ins vielzitierte Milljöh, die jedoch jetzt als eine Art Folklore verkostet werden könnten. Und schwächere Arbeiten der Kollwitz wirken aus heutiger Perspektive leicht bittersüßlich, wie auf bloße Rührung angelegt. Das kann man von George Grosz und Otto Dix nicht behaupten. Sie zeigen die grotesken Fratzen und Phantome der Armut mit anklagender, immer noch schmerzhafter Deutlichkeit. In der Neuen Sachlichkeit weicht derlei Vehemenz dann wieder einer unterkühlten Glätte.

Auf interessante Nebenwege führt ein Raum mit Eigenbesitz des Hüser-Institutes. Hier sieht man Bilder der sogenannten „Vagabunden“ um Hans Tombrock. Generell gilt: Ein karger Holzschnitt sagt über Hunger, Ausbeutung und Wohnungsnot oft mehr als ein Ölbild. Denn schon mit der Farbe kann die Beschönigung beginnen.

Ein spezielles Exponat sind Teile jener gerichtlich umstrittenen „Klagemauer“, die ein Obdachloser vor Jahren auf der Kölner Domplatte errichtet hat. Das Erscheinen dieser Vielzahl von Papp- und Papierstücken (mit handschriftlichen Aufrufen gegen Elend und Krieg) in einem Museum zeigt nochmals den Zwiespalt: Dokumente eines Notstandes, in der Freizeit konsumierbar.

„ArmutsZeugnisse“. Dortmund. Museum am Ostwall. 5. Nov. bis 31. Dezember, Di-So 10-17 Uhr. Eintritt 4 DM (ermäßigt 1 DM). Katalog 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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