Dieses ausweglose Leben – „Beyond Caring“: Schaubühne zeigt krasse Sozialstudie über Putzkräfte

Ensemble-Szene aus „Beyond Caring“ mit (v. li.) Kay Bartholomäus Schulze, Hevin Tekin, Jule Böwe, Damir Avdic, Julia Schubert. (Foto: © Gianmarco Bresadola / Schaubühne Berlin)

„Mich interessiert nicht die Repräsentation von Leben, mich interessiert das Leben.“ Mit „Love“ porträtierte der britische Autor und Regisseur Alexander Zeldin Menschen, die Weihnachten in einer Notunterkunft des Sozialamtes zubringen müssen. Jetzt inszeniert er an der Berliner Schaubühne sein Stück „Beyond Caring“, das die prekäre Arbeit und schwierige Lebenssituation von Reinigungskräften thematisiert.

Mit krassem Realismus will er uns eine soziale Klasse, die für die bürgerlichen Schichten der Theaterbesucher sonst ziemlich unsichtbar ist, näherbringen, sie aber nicht als Aussätzige vorführen, sondern als Menschen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, die uns daran erinnern, wie schnell es bergab gehen und unser schönes Leben im Mahlstrom des Turbo-Kapitalismus unter die Räder kommen kann. „Beyond Caring“ ist fundamentale Sozialstudie und Aufruf zur Mitmenschlichkeit, ohne die unsere gespaltene Gesellschaft vollends zerfallen würde.

Nachts in der Fleischfabrik

Wir begegnen den Putzkräften nachts in einer Fleischfabrik, es sind drei Frauen und zwei Männer. Jan ist ihr Vorarbeiter, Michael angestellte Teilzeitkraft, Sonja und Becky sind über eine Fremdfirma als „Sub-Unternehmerinnen“ angestellt, Ava kommt über eine Maßnahme des Arbeitsamtes: Die klassische Arbeitsgesellschaft mit gemeinsamen Interessen und gewerkschaftlicher Vertretung ist längst Schnee von gestern.

Kurze Pause von der Schufterei: Szene mit Kay Bartholomäus Schulze, Hevin Tekin, Jule Böwe. (Foto: © Gianmarco Bresadola / Schaubühne Berlin)

Ab und zu gibt es eine kleine Pause, dann blättern sie in Zeitschriften, essen, trinken, hören Musik, spielen mit dem Handy, reden nur das Nötigste. So geht das tagein, tagaus, immer reinigen sie die blutbesudelten Fleischmaschinen und verschmierten Wände, sammeln Müll ein, führen die gleichen Pausen-Gespräche. Immer hoffen wir vergeblich, dass sich etwas ändern möge, dass sie den Weg aus der sozialen Sackgasse finden, der Tristesse ihres Alttags entfliehen können.

Nur ein Moment der Anarchie

Einmal fallen in purer sexueller Not zwei Putzkräfte übereinander her, reißen sich die Kleider vom Leib, erleben einen kurzen Moment der Anarchie, bevor sie peinlich berührt auseinander driften. Aus dem Jammertal ihrer kaputten Existenz werden sie sich nicht befreien: Kein Ausweg, nirgends.

Spielfläche und Zuschauerraum sind von grellem Neon-Licht permanent ausgeleuchtet, alles ist jederzeit sichtbar, alles starrt vor Dreck und Blut, überall Fett- und Fleischreste, Plastik-Behälter mit Fleischkadavern, Reinigungsmitteln und Putzlappen. Manchmal rennt jemand hinaus auf die Straße, um sich Luft zu verschaffen oder eine Zigarette zu rauchen.

Der Fiesling, gegen den niemand ankommt

Der Vorarbeiter ist ein Wichtigtuer und Schwätzer, der allen das Leben zur Hölle macht. Gegen diesen Fiesling, der, wenn er nicht gerade sein Team mitleidlos zur Sau macht, sich auf seinem Handy an Pornos aufgeilt, kommt niemand an – weder die dünnhäutige Becky, die ihre Tochter so vermisst, noch die duldsame Ava, die sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten kann, und schon gar nicht die still leidende Sonja, die Vorräte hortet und sich zum Schlafen in die Fleischfabrik schleicht, weil sie keine Wohnung hat und eigentlich auch kein richtiges Leben.

Ein niederschmetternder Abend. Nirgendwo ein Funken Hoffnung. Was die fünf Akteure (Damir Avdic, Jule Böwe, Julia Schubert, Kay Bartholomäus Schulze und Hevin Tekin) leisten, verdient großen Respekt. Doch als Zuschauer dieser fast zwei Stunden währenden Tortur hilflos ausgesetzt zu sein, kann man auch, gerade in den emotional ohnehin schwierigen Zeiten von Krise und Krieg, als Bühnen-Qual empfinden.

Schaubühne: „Beyond Caring“, nächste Vorstellungen täglich vom 2. bis 5. Mai und vom 25. bis 29. Mai.

Weitere Infos hier

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