Höhepunkt zur Halbzeit – Angela Winkler und Joachim Meyerhoff begeistern das Publikum der Ruhrfestspiele

Angela Winkler und Joachim Meyerhoff in „Eurotrash“ (Foto: Fabian Schellhorn/Ruhrfstspiele)

Ja, was soll man sagen? Das Publikum im restlos ausverkauften Großen Haus war begeistert vom Stück, spendete stehend anhaltenden Applaus, und die anschließenden Publikumsgespräche im Foyer, so man ihrer in Fetzen teilhaftig werden konnte, waren gespickt mit Superlativen: großartig, grandios, einzigartig, einmalig.

Gemeint war damit in erster Linie sicherlich die Schauspielkunst dieses auf den ersten Blick so bizarren Paares, Sohn und Mutter, Joachim Meyerhoff als Ich-Erzähler Christian Kracht und Angela Winkler als seine alte, desolate Mutter, beide miteinander in Haßliebe verbunden.

Doch steht zu vermuten, daß auch dieser scheinbar so private Stoff die Sympathien des Publikums fand. Mit „Eurotrash“, einem Zweipersonenstück nach dem Roman von Christian Kracht in der Regie von Jan Bosse, haben die diesjährigen Ruhrfestspiele definitiv ihren Höhepunkt erreicht; ziemlich paßgenau zur Halbzeit übrigens, man muß dem Intendanten gutes Timing bescheinigen.

Frauenrollen

Grandios war, wie berichtet, der Auftakt mit „Sibyl“ von dem südamerikanischen Vielfachtalent William Kentridge. Bemerkenswert war auch „Bros“ von Romeo Castellucci, was zeitgleich im Kleinen Haus gegeben wurde. Eine Woche später folgte im Großen Haus nach etwas Talk und Kabarett „Annette, ein Heldinnenepos“ nach dem Roman von Anne Weber in der Regie von Lily Sykes, eine Produktion des Schauspiels Hannover.

Corinna Harfouch in „Annette, ein Heldinnenepos“ (Foto:Kerstin Schomburg/Ruhrfestspiele)

Immer im Widerstand

Was für ein Leben! Annette Beuamanoir, die es übrigens wirklich gibt und die mittlerweile 98 Jahre alt ist, tritt in ihrer Jugend der Résistance gegen die deutsche Besetzung Frankreichs bei; nach dem Krieg engagiert sie sich im Freiheitskampf der Algerier gegen die französische Kolonialmacht. Die Freiheit kommt, doch es ist die Freiheit der neuen Herren, die weiterhin das Volk terrorisieren. Desillusioniert zieht sich Anne Beaumanoir aus dem politischen Geschehen zurück, arbeitet als Ärztin in der Schweiz. Sie hat große Opfer gebracht, und nach Frankreich kann sie nicht zurück, weil sie dort polizeilich gesucht wird.

Warum spielt Frau Harfouch mit?

Die Lebensgeschichte von Annette Beaumanoir war als Buch ein großer Erfolg. Leider ist es nicht gelungen, ein kongeniales Bühnengeschehen aus dem Stoff zu machen. Als Stück muß man „Annette“ dem mittlerweile häufig vorzufindenden, irgendwie feministisch grundierten Deklamations- und Vorwurftheater zuordnen, das Schauspiel im wörtlichen Sinne weitgehend verweigert. Nun gut, Biographisches kann man ja auch vortragen. Doch leider versäumt es diese Inszenierung, zu pointieren und zu strukturieren. Alles, was Darstellerinnen und Darsteller zu berichten wissen, wirkt irgendwie gleich bedeutend, was besonders in der Algerien-Hälfte nach der Pause ärgerlich ist, weil man sich da in Deutschland nicht so gut auskennt. Ausnahmsweise mal Franzosenbashing („Kolonialherren“), sieht man ja sonst eher selten.

Die jungen Akteure zeigen, was sie können, und das ist, wenn vieles auch verpufft, nicht wenig. Wie sich allerdings Frau Harfouch in diese juvenile Darstellerriege verirren konnte, fragt man sich schon. Weder ist hier eine durchgängige Rolle für eine ältere Bühnenkraft erkennbar, noch wird das Können dieser Ausnahmekünstlerin auch nur ein einziges Mal durch die Inszenierung wirklich abgefordert. Und es reift der Verdacht, daß man sie nur des klangvollen Namens wegen auf die Besetzungsliste genommen hat.

Geld zu verteilen

„Eurotrash“, nur einmal wollen wir noch darauf zurückkommen, bezeichnet übrigens eine Geldanlage der Frau Mama (mit Betonung auf dem zweiten a), mit der sie etliche hunderttausend Franken Gewinn gemacht hat. Und dann ist sie auf die aberwitzige Idee verfallen, das Geld an die zu verteilen, die es gut gebrauchen können. Christian soll ihr dabei helfen. Und immer wieder fragt sich dieser erwachsene, vernünftige Sohn, warum er sich das antut, warum er seine Mama aushält, warum er sie zu einem gesünderen Leben verleiten will, warum er sich kränken und demütigen läßt. Jedes Mal, wenn sie sich treffen, macht ihn die Alte fertig, boshaft, hellsichtig und treffsicher. Aber irgendwie auch so, daß man ihr nicht böse sein kann, sieht man einmal von dem Groll ab, der wohl beiden Protagonisten innewohnt und stärker geworden ist in diesen Jahrzehnten wechselseitiger Mißachtung.

Bitte mehr davon

Es ist ja ein Wunder, daß sie überhaupt noch lebt, ernährt sie sich doch wesentlich von Wodka, Wein und Schmerztabletten, stürzt immer wieder schwer, hat Wunden und Narben im Gesicht. Eigentlich ist sie unmöglich – aber eben auch das Produkt eines konservativen Gesellschaftsmodells der Nachkriegszeit, das für geschiedene, gutbürgerliche Frauen mittleren Alters keine Rolle mehr vorsah – sofern sie nun nicht, wenig qualifiziert, für ihren Unterhalt arbeiten mußten. Daß Mama bei der Scheidung betrogen wurde (mit Kunst), versteht sich fast von selbst. Neben viel Biographie, Slapstick und Tragik ist „Eurotrash“ alles in allem auch ein (ausschnitthaftes) Sittenbild dieser Nachkriegszeit. Ein kluges, menschliches Stück mit glänzenden Darstellern. Man wünschte sich mehr Theater wie dieses, nicht nur in Berlin oder bei den Ruhrfestspielen.

Viel Gutes steht noch auf dem Spielplan

Schluß jetzt mit dem Nacherzählen. Mit „Tao of Glass“, der „Dreigroschenoper“ und Matthias Brandt in „Mein Name sei Gantenbein“ stehen in den nächsten Wochen noch einige Hochkaräter auf dem Theaterprogramm.

Wenn es hier vorwiegend um Sprech- oder bestenfalls Musiktheater ging, so liegt das an den persönlichen Vorlieben des Verfassers. Aus zweiter Hand – das wird jetzt ein arg krummes Sprachbild, aber egal – hörte (!) ich aber auch, daß „Colossus“ von der Stephanie Lake Company großartig gewesen sein soll. Und die Hofesh Shechter Company, die ab 27. Mai „Double Murder“ im Großen Haus spielen und tanzen wird, hat ebenfalls einen guten Ruf. In den kommenden drei Wochen bis 12. Juni, wenn die Ruhrfestspiele enden, gibt es also noch viele gute Produktionen zu sehen und zu hören. Der Blick ins Programmheft lohnt.

www.ruhrfestspiele.de

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