Das Volk leidet – „Pah-Lak“ beschreibt bei den Ruhrfestspielen tief bewegend die brutale Unterdrückung Tibets

Um Tibet ist es still geworden. Der Dalai Lama lebt in Indien und war schon lange nicht mehr im Fernsehen zu sehen, von Bemühungen der Volksrepublik China, das Land nunmehr mit geduldiger Überzeugungsarbeit für sich zu gewinnen, hört man aber auch nichts. Brutaler Anschluß bleibt das Mittel der Wahl; und als westlicher Nachrichtenkonsument hat man Tibet innerlich ja schon abgehakt, Hong Kong ebenso, nur ab und zu schaut man nach Taiwan – der Zynismus des real Existierenden.

Die junge Nonne Deshar (Kalsang Dolma). (Foto: Ursula Kaufmann/Ruhrfestspiele)

Doch die Zeit macht aus Unrecht nicht Recht, die Wunde schärt. Was man nicht verändern kann, muß deshalb wenigstens erzählt werden. „Pah-Lak“ („Vater“) heißt das Stück des Autors Abhishek Majumdar, das uns exemplarisch etwas von tibetanischer Realität näherbringt und das jetzt bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zu sehen war.

Politische Manifestation

„Pah-Lak“, ein Stück, das ausschließlich von tibetischen Darstellerinnen und Darstellern gespielt wird, entstand in Zusammenarbeit mit dem Tibet Theatre und dem Tibetan Institute of Performing Arts Dharamsala (Indien), auch die Tibet Initiative Deutschland und die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft GSTF weisen auf ihr Mitwirken hin. Eine solche Kooperation legt natürlich nahe, über Politik, über Tibet und China, über Folter, Völker- und Menschenrechte ganz generell zu reden, statt lediglich über ein Bühnenwerk. Im nachfolgenden Publikumsgespräch geschah dies auch. Doch bleiben wir in dieser Besprechung beim Stück, so weit die Dinge überhaupt klar zu trennen sind.

Nonne Deshar (Kalsang Dolma, Mitte) in heftiger Diskussion mit dem chinesischen Polizeioffizier Deng (Lhakpa Tsering, links).

Nonne Deshar (Kalsang Dolma, Mitte) in heftiger Diskussion mit dem chinesischen Polizeioffizier Deng (Lhakpa Tsering, links). Rechts der Büttel Gaphel (Tenzin Lhundup), ein Tibeter, der sich den Chinesen angedient hat. (Foto: Ursula Kaufmann/Ruhrfestspiele)

Umerziehung

Die Eisenbahn bringt chinesisches Militär zum Kloster, die Umerziehung der Tibeter und insbesondere des widerspenstigen Klosterpersonals muß energisch vorangetrieben werden. Polizeioffizier Deng (Lhakpa Tsering) führt eine heftige, harte Diskussion mit dem Abt, dem Rinpoche des Klosters (Tsering Dorjee Bawa), in dem er dem Kloster die Existenzberechtigung rundweg abspricht; seit Jahrhunderten lebe es auf Kosten des Volkes. Zusätzliche Dramatik erhält die Geschichte durch eine Selbstverteidigungsaktion der jungen tibetischen Nonne Deshar (Kalsang Dolma). Einem chinesischen Soldaten hat sie im Streit den Kiefer gebrochen und einen Zahn ausgeschlagen. Deshalb muß sie verschwinden. Die Chinesen wollen sie zur Terroristin stilisieren, die der Dalai Lama geschickt hat. Auch unter Folter gesteht Deshar nichts. Aber sie bietet ihr Leben an, zum Wohl der anderen.

Friedliche Konzepte fruchten nicht

Tibeter werden gefoltert, das Kloster wird dem Erdboden gleichgemacht, nichts anderes konnte man erwarten. Friedliche buddhistische Konzepte des Verzeihens, der Exkulpierung des feindlichen Gegenübers, der Nächstenliebe letztlich, fruchten nicht. Deshars Versuch der Selbstverbrennung soll Heil bringen und läßt sie mit schlimmen Verletzungen überleben. Doch fällt es schwer, im Akt der Selbstverbrennung mehr als eine Verzweiflungstat zu sehen, auch wenn dieses Stück mit seiner buddhistisch-gewaltfreien Grundierung ihn in seiner symbolischen, quasi-religiösen Bedeutung stark überhöht. (Untertitel des Stücks: „Den Opfern der Selbstverbrennungen gewidmet“.)

Nonne Deshar, von der mißlungenen Selbstverbrennung schwer gezeichnet, auf dem Foltersuhl (Mitte). (Foto: Ursula Kaufmann/Ruhrfestspiele)

Naturalismus

Abgesehen von zwei Musikanten am Rand der Szene, die mit einer Trommel und landestypischen Perkussions-instrumenten den dramatischen Gang des Geschehens sehr schön untermalen, findet auf der Bühne ein recht nüchternes, naturalistisch gehaltenes (ein Kollege nannte es durchaus zutreffend „europäisches“) Theaterstück statt, das klar die Rollen zuweist und sich mit Nuancen in der Figurenzeichnung nicht lange aufhält. Sie wären in gewisser Weise auch kontraproduktiv, weil die Geschichte sich im weiteren Handlungsverlauf weg von der politischen Zustandsbeschreibung hin zur fraglos auch allegorisch gemeinten Schilderung tragischer Vater-Tochter-Beziehungen bewegt.

Töchter und Väter

In dieser Schilderung ist Nonne Deshar die theologische Tochter des Rinpoche wie auch die biologische des Widerstandskämpfers und Lehrers Tsering (Tenzin Wangchuk), beide haben nicht unbegründete Angst, sie zu verlieren. Aber auch der chinesische Kommandant Deng hat eine Tochter, und die kommt bei einem Attentat ums Leben. Wohin mit dem Schmerz? Wer hat die Schuld? Schafft es Erleichterung, weitere Leben auszulöschen? Politisches Unrecht und persönliches Leid vermischen sich untrennbar, und diese religiös ansetzende, gleichermaßen jedoch illusionslos ablaufende Beschreibung der Verhältnisse macht zu einem Gutteil die tragische Qualität des Stückes aus.

Bereicherung des Festspielprogramms

„Pah Lak“ wurde auch schon in englischer Sprache inszeniert; für Recklinghausen, so ist zu lesen, entschied man sich jedoch für das Tibetische. Kaum möglich sei es, die Texte ins Deutsche zu übertragen, ist zu hören. Das will sein, auf jeden Fall hätte es eine Menge Aufwand bedeutet. Und die deutschsprachigen, über der Bühne projizierten Übersetzungen liefen untadelig. Reicher Applaus für das Stück, für die tibetanischen Künstler und Künstlerinnen und gewiß auch für den Mut, dieses Stück nach Recklinghausen geholt zu haben.

www.ruhrfestspiele.de

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