Monatsarchive: April 2023

Phil Glass mit viel Kaffee: Víkingur Ólafsson beendet seine Zeit als Porträtkünstler der Philharmonie Essen

Der Pianist Víkingur Ólafsson. (Foto: Sven Lorenz)

Mit einem Solo-Abend in der Mischanlage der Kokerei Zollverein und einem Auftritt mit den Essener Philharmonikern mit Wolfgang Amadeus Mozarts c-Moll-Klavierkonzert (KV 491) hat Víkingur Ólafsson seine Zeit als Porträtkünstler der Philharmonie Essen beendet.

Sechs Mal war der Isländer in der laufenden Spielzeit zu Gast: Mit dem Concertgebouw Orkest als Orchesters „in Residence“ spielte er das a-Moll-Konzert von Edvard Grieg, mit der Tschechischen Philharmonie erklang Robert Schumanns Konzert in der gleichen Tonart. Ólafsson begleitete den Liedsänger Matthias Goerne und widmete sich mit dem Philharmonic Orchestra aus dem norwegischen Bergen Maurice Ravels G-Dur-Konzert.

Die persönlichste Note jedoch trug sein Solo auf Zollverein. Eingepackt in einen Pullover in geometrischen Sechziger-Jahre-Mustern, entlockte er dem Flügel die … Weiterlesen

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Die Natur des Menschen erkunden – Programm der Ruhrtriennale

Auch diesmal eine zentrale Spielstätte der Ruhrtriennale: die Bochumer Jahrhunderthalle. (Foto: © Jörg Brüggemann)

Rühmen ist eine Kunst, auf die sich nicht alle verstehen. Ganz anders heute bei der Programm-Pressekonferenz zur Ruhrtriennale, die streckenweise geradezu schwärmerisch verlief. Das überwiegend weibliche Leitungsteam um die Intendantin Barbara Frey ließ nach und nach sämtliche am Festival beteiligten Künstlerinnen und Künstler hochleben. Darüber wurden die geplanten 90 Minuten arg knapp.

Intendantin und Sparten-Leiterinnen gingen überdies einfach mal davon aus, dass die Kreativen doch sicherlich samt und sonders allseits bekannt seien. Nun, für ausgesprochene Triennale-Afficionados und dito Habitués mag das wohl zutreffen. Oder eben für die Macherinnen selbst. Ich möchte hingegen wetten, dass nicht ausnahmslos alle Medienschaffenden sofort bei allen Namensnennungen gänzlich im Bilde waren. … Weiterlesen

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Schlechtes Gewissen im Wohlstand – „Geld spielt keine Rolle“ von Anna Mayr

Nach ihrem bitteren Armutsbericht „Die Elenden“ (2020) legt Anna Mayr nun ein Buch über ihren und anderleuts (letztlich doch begrenzten) finanziellen Aufstieg vor: „Geld spielt keine Rolle“.

Der Titel ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen. Im Gegenteil. Geld spielt immer und überall eine Rolle, so lautet der unumstößliche Befund. Über Geld redet „man“ nicht? Oh, doch! Hier schon. Jedes einzelne Kapitel ist mit einem konkreten Geldbetrag überschrieben: „600 Euro für einen Umzug“. – „200 Euro für Falafel“. – „225 Euro für eine Katzentherapeutin“ – „149 Euro für einen Elektrogrill“. Und so weiter, aus etlichen Lebensbereichen. Das Buch enthält somit (bestürzend) viele und genaue Proben des bundesdeutschen Alltags.

Als Frau, die in ärmlichen Verhältnissen am Ostrand des Ruhrgebiets aufgewachsen ist, „genießt“ … Weiterlesen

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Von Unna bis Bangkok – Unbewohnbarkeit der Städte im fotografischen Langzeitprojekt

Der 1961 in Wolfsburg geborene Fotograf Peter Bialobrzeski ist ein kreativer Unruhegeist. Wenn der Foto-Künstler keine Uni-Seminare hält, ist er mit seiner Kamera unterwegs, erforscht die Geheimnisse der deutschen Kleinstädte und die Abgründe der globalen Mega-Metropolen. Seine Arbeiten werden weltweit ausgestellt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Seit einiger Zeit widmet er sich einem Langzeitprojekt: Die Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Thema seiner „City Diaries“, mit denen er der Frage nachgeht, ob unsere Vorstellung vom Bild einer Stadt, gespeist aus Vorurteilen, Vorgefundenem und medial Vermitteltem, in ein spezifisches Bild überführt werden kann. Die Bibliothek der „City Diaries“ umfasst inzwischen 19 Bücher.

Die Reiseroute seiner Foto-Safaris scheint keinem Muster zu folgen, ein Auswahl-Prinzip ist nicht erkennbar. Manche Stadterkundung mag … Weiterlesen

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Nähe, Alltag und Wirrnis – Andreas Maiers Roman „Die Heimat“

1970er Jahre in der hessischen Provinz (und eigentlich nicht nur dort): In der Grundschulklasse sitzen gerade mal zwei „Ausländer“-Kinder, ein Italiener und ein Mädchen aus Bulgarien, das im gnadenlosen Urteil der Mitwelt als „wilde Zigeunerin“ gilt. Wie lange scheint das her zu sein und wie unbegreiflich fern scheint es zu liegen! Andreas Maier muss es in seinem neuen Roman „Die Heimat“ geradezu archäologisch hervorholen. Dann aber kommt es uns doch verdammt bekannt vor.

Es folgen weitere zeittypische Szenarien: bezeichnende Vorkommnisse auf dem Schulhof; eine Schwester Adelheid, die nahezu obszön in die Kreuzigung Jesu vernarrt ist und auf entsprechend drastische Weise katholischen Religionsunterricht erteilt. Das erste italienische Restaurant im Städtchen, die Fernsehserie „Holocaust“ und der bleierne Herbst des RAF-Terrorismus sind andere … Weiterlesen

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Fröhlicher Feminismus der Frühzeit: Stummfilme beim Dortmunder Frauen Film Fest

„Aufräumen“, dass die Bude wackelt: anarchisch-chaotische Szene aus dem französischen Stummfilm „Cunégonde reçoit sa famille“ (1912). (Frauen Film Festival IFFF Dortmund + Köln / Filmmuseum EYE, Amsterdam)

Vor rund 110 bis 120 Jahren sah die Frauenbewegung im Kino noch etwas anders aus. Da war es wohl schon ein gewisses Wagnis, wenn eine Frau – gern gemeinsam mit Freundinnen – den Männern ein Schnippchen schlug. Oft ging’s dabei frisch, fröhlich und frei zu. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die ausgewählten Stummfilme, die beim Internationalen Frauen Film Fest IFFF in Dortmund (diesmal wieder Hauptort) und Köln (Nebenspielstätte) gezeigt werden. Ein paar Beispiele fürs muntere Treiben der historischen „Komplizinnen“, wie sie beim Festival heißen:

Die Herrschaften sind fort, vor allem der reiche Sack von … Weiterlesen

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Leidensweg eines unschuldigen Menschen: Bachs „Matthäuspassion“ in Dortmund und Essen

Das Freiburger Barockorchester spielte im Konzerthaus Dortmund. (Foto von 2019: Freiburger Barockorchester)

Auf ihre je eigene Weise haben zwei Aufführungen von Johann Sebastian Bachs „Matthäuspassion“ in Dortmund und in Essen ihren Beitrag zur „Recreation des Gemüths“ geleistet. Was sagen die geistlichen Werke heute einem weitgehend säkularisierten Publikum?

Ob Buß‘ und Reu‘ noch das Sündenherz entzwei knirschen? Was hat die protestantische Schuld- und Sühnetheologie noch mit uns zu tun, die sich in den Texten zu Johann Sebastian Bachs „Matthäuspassion“ äußert? Jener Christian Friedrich Henrici, Picander genannt, hat ja nicht nur den Bibeltext zusammengestellt, sondern in den Arien reflektierende Einschübe geschaffen, in denen sich ein gläubiges Individuum dem heilsgeschichtlichen Ereignis stellt: Christus, das Lamm Gottes, leidet „auf unsre Schuld“, trägt unsere Sünden … Weiterlesen

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Durch die virtuelle Brille: Ein Opernbesuch mit Spitzentechnologie auf dem Nasenrücken

Kein Sonnenschutz: Die Besucher der Rheinoper tragen eine so genannte AR-Brille, die virtuelle Informationen zum Stück und zu den Interpreten einspielt (Foto: Lukas Voss)

Heute mal ein kleines Experiment: Wir lassen uns darauf ein, eine Opernpremiere durch eine virtuelle Brille zu sehen. Korrekter gesagt, durch eine AR-Brille. AR steht für Augmented Reality, zu deutsch eine erweiterte Wirklichkeit, für die es natürlich Computer braucht. Die Brille kann während der Vorstellung Untertitel einblenden, aber auch diverse Informationen zum Stück und zu den Interpreten liefern.

Zudem ist sie mit drei Live-Kameras im Orchestergraben verbunden, die es ermöglichen sollen, dem Dirigenten sowie den Musikerinnen und Musikern aus nächster Nähe zuzuschauen. Lässt so viel Ablenkung es noch zu, sich auf das Stück zu konzentrieren? Die … Weiterlesen

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Furchtlosigkeit, Demut und Liebe – Helga Schubert über den Alltag mit ihrem demenzkranken Mann

„Darum sorgt nicht für den andern Morgen“, heißt es bei Matthäus (Kapitel 6, Vers 34), „denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“

Diese Bibel-Zeilen stellt Helga Schuber ihrem neuen Buch voran: „Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe“ konzentriert sich ganz auf das Hier und Jetzt, das Schöne und das Schreckliche des Moments. Es ist ein Buch, das furchtlos und bewegend beschreibt, wie Liebe und Leid Hand in Hand gehen, wie qualvoll es ist, seinen schwer an Demenz erkrankten Ehemann zu pflegen, einen ehemals starken Kerl und klugen Kopf, der jetzt ans Bett gefesselt ist und sich einnässt, der seine Frau oft nicht wieder erkennt und seltsame … Weiterlesen

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Schmerzlicher Verlust: Der Bonner Operndirektor Andreas Meyer ist überraschend gestorben

Andreas K. W. Meyer, Aufnahme aus dem Jahr 2012. Foto: Christian Hahn

Die Nachricht ist schockierend: Einer der profiliertesten Dramaturgen in der europäischen Opernlandschaft ist tot. „Mit großer Bestürzung“ teilte das Theater Bonn am Ostermontag den Tod seines Operndirektors Andreas K. W. Meyer mit. Meyer verstarb mit 64 Jahren infolge von Herzversagen am Karsamstag, 8. April 2023.

Andreas K. W. Meyer war keiner von denen, die sich an den Top-Positionen der Aufführungsstatistik entlanghangeln und ihre Spielpläne basteln, garniert mal mit einer Rarität, mal mit einer Uraufführung. Er schaute genau hin und durchforstete die Geschichte der Oper nicht unter der fragwürdigen Annahme, der historische Rezeptionsprozess habe in einer quasi natürlichen Auslese das Beste überleben und das weniger Gute in den Archiven … Weiterlesen

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Raus aus dem ärmlichen Dortmunder Dreck: Jörg Thadeusz‘ Nachkriegs-Roman „Steinhammer“

Vorab eine persönliche Anmerkung, die mit dem vorliegenden Buch zu tun hat: Vor allem die erste Hälfte dieses Romans habe ich mit fliegendem oder angehaltenem Atem gelesen, weil – ich den anfänglichen Haupt-Schauplatz aus frühester Kindheit „kenne“ oder wenigstens genau dort gelebt habe, bis ich sechs Jahre alt war. An den durchgehenden Lärm der Bahnstrecke und an den Güterbahnhof kann ich mich jedenfalls noch erinnern. Da haben wir Kinder einmal Rüben aus Waggons geklaut und es gab „eine Tracht Prügel“. Ein ähnlicher Vorfall aus demselben Jahrzehnt kommt auch im Roman vor…

Gemeint ist die Dortmunder Steinhammerstraße im Schatten der damals noch mächtig aktiven Zeche Germania. Just dort hat der Roman „Steinhammer“ sein Gravitations-Zentrum. Verfasst hat ihn der TV-bekannte, 1968 in … Weiterlesen

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Ruhrgebiet – Traumgebiet: „Urbane Künste Ruhr“ wollen ab Mai wieder Orte der Region verwandeln

Durch Schaum überfluteter und verwandelter Stadtraum: Stephanie Lüning „Island of Foam“ (Schauminsel), Version XIV, 2021, in Linz/Österreich. Ob es bei der Aktion in Essen-Steele ähnlich zugehen wird? (Foto: © Violetta Walkobinger)

Noch ist alles im Wachsen und Werden, doch es lässt sich schon im Ungefähren darüber reden: Bei einer Online-Pressekonferenz gab es jetzt einen ersten Überblick zu neuen Projekten von „Urbane Künste Ruhr“. Sie befassen sich vom 5. Mai bis zum 25. Juni mehr oder weniger direkt mit dem Generalthema „Schlaf“.

Damit wird die 2019 gestartete und 2021 fortgesetzte Trilogie „Ruhr Ding“ enden, deren erste Ausgaben „Territorien“ und „Klima“ in den Blick genommen haben. Allesamt dehnbare Themenfelder, fürwahr.

„Schlaf“ also. Unter diesem Losungswort sollen sich diverse Orte im Ruhrgebiet als … Weiterlesen

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Wie ich dann doch kein Sargträger wurde

Hauptfriedhof Buer – Tritt ein! (Foto: Gerd Herholz)

Okay, ich will hier nicht das Lamento anstimmen vom Selbstausbeuter im Kulturjob, der als Ruheständler mit karger Rente zu kämpfen hat. Scheiß drauf, Schwamm drüber. Andererseits bleibt so einem wie mir nichts anderes, als beide Augen offen zu halten nach einem 520-Euro-Job, der auf Altersbezüge nicht angerechnet werden darf. Ansonsten hätte man vielleicht noch die Wahl, den Kopf in den Gasherd zu legen, solange einem das Gas noch nicht abgesperrt wurde.

Erfreulicherweise aber sprang sie mich tatsächlich an, diese Kleinanzeige aus den Stellenangeboten: „Sargträger (m/w/d) für Bestattungsunternehmen gesucht. Einsätze nach Absprache Mo.-Sa. vormittags. Minijob-Basis. Führerschein erforderlich.“

Hm…, gestorben wird immer, wie man zurzeit überall sehen muss. Vielleicht könnte ich das Unangenehme mit … Weiterlesen

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Berliner Baustellen-Blues: Pergamonmuseum schließt für einige Jahre

Licht und Schatten: Detail des Berliner Pergamonmuseums. (Foto: © SPK / Stefan Müchler)

Während draußen auf den Berliner Straßen die Nazis marschierten und Hitlers Machtergreifung herbei prügelten, suchte der junge Kommunist und angehende Schriftsteller Peter Weiss oft Zuflucht im damals neu erbauten Pergamonmuseum. Vor allem der Pergamonaltar hatte es ihm angetan. Immer wieder studierte er das gigantische Bauwerk aus dem 2. Jahrhundert vor Christi, das einst zur Residenz der mächtigen Könige von Pergamon gehörte und unter dubiosen Umständen in die deutsche Hauptstadt geschafft wurde.

Die auf dem Fries dargestellten Szenen vom ewigen Streit zwischen den Menschen und Göttern sowie die mühsam in den Stein gehauene künstlerische Kreativität waren für ihn Ausdruck der geschichtsbildenden Kraft des Klassenkampfes und der lichten Zukunft … Weiterlesen

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