
Der niederländisch-amerikanische Geiger Stephen Waarts muss sich für die Blumenübergabe klein machen. (Foto: Stephan Lucka)
Das kleine Blumenmädchen reicht ihm kaum bis zum Knie. Es wirkt beinahe skurril, wie tief sich der nahezu zwei Meter große Geiger Stephen Waarts bücken muss, um den Strauß entgegenzunehmen, den das Kind ihm zum Dank für seinen Auftritt im Konzerthaus Dortmund reicht.
Die Bratschistin Emma Wernig, die mit ihm gemeinsam das Doppelkonzert e-Moll op. 88 von Max Bruch aufgeführt hat, erhält ebenfalls Blumen. Sie ist aktuell Stipendiatin der traditionsreichen Mozart Gesellschaft Dortmund, die auch Stephen Waarts über Jahre gefördert hat. Mehr als 150 junge Musikerinnen und Musiker hat der gemeinnützige Verein seit 1961 auf dem harten Weg in den Musikbetrieb unterstützt.
Bei der jüngsten Mozart Matinee, die sechsmal pro Saison im Konzerthaus stattfindet, gelingt es Waarts und Wernig, selbst verwöhnte Vielhörer für sich einzunehmen. Technik und Tongebung verraten schon nach wenigen Takten, zu welcher Meisterschaft sie es auf ihren Instrumenten gebracht haben.
Mit Blick auf die Wettbewerbserfolge des niederländisch-amerikanischen Geigers, Absolvent des berühmten Curtis Institute of Music in Philadelphia, und auf die Auszeichnungen der deutsch-österreichischen Bratschistin, die seit 2021 bei Tabea Zimmermann an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin studiert, kann das nicht überraschen. Gleichwohl nimmt die Verblüffung über das Spiel der beiden zu, wenn sie sich vom rhapsodischen Beginn des Bruch-Doppelkonzerts immer weiter freispielen. Ihr Ton ist reich und intensiv, ihr Legato wunderbar dicht, die Intonation treffsicher. Beider Musikalität steht völlig außer Frage.
Sich gegen das Orchester zu behaupten, gelingt ihnen ohne zu forcieren. Vorzüglich, wie filigran und quecksilbrig sie Läufe und Aufschwünge vor der Folie spätromantischer Opulenz zum Leuchten bringen. Dazu trägt auch die Begleitung durch das Württembergische Philharmonie Reutlingen bei, die die Solisten unter der Leitung von Ariane Matiakh einfühlsam unterstützt.

Stephen Waarts und Emma Wernig spielten bei der Mozart-Matinee das Doppelkonzert für Violine und Viola e-Moll op. 88 von Max Bruch. (Foto: Stephan Lucka)
Dass Waarts Violinton lange im Ohr bleibt, liegt an einer fabelhaften Mischung aus Feuer und luftiger, atmender Eleganz, die Vergleiche mit den berühmtesten Geigern unserer Zeit heraufbeschwört. Nach dem zupackenden Finale erhalten er und Emma Wernig Riesenbeifall.
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen, bereits zum dritten Mal bei einer Matinee der Mozart Gesellschaft Dortmund zu Gast, hatte ihr Programm ganz auf den Anlass zugeschnitten. Sie legt mit der „Symphonie classique“ von Sergej Prokofjew los – und beweist in dieser respektlos-genialen Jonglage mit klassischen Formen erstaunliches Geschick.
Ariane Matiakh wählt für den Kopfsatz ein moderates Tempo, setzt mit klarer, unprätentiöser Zeichengebung Impulse, die das Orchester aufmerksam umsetzt. Alles ist delikat und luzide, silbrig im Klang. Im Finale (Molto vivace) gibt Matiakh dann Vollgas: Nun fliegen die Funken, die Geigen schlagen schier Kapriolen, die Holzbläser jagen im Affentempo durch Tonwiederholungen. Das schnurrt ab wie der geölte Blitz.
Jacques Ibers originelle „Hommage à Mozart“, ein 1955 komponiertes kurzes Stück in Rondo-Form, bereitet nach der Pause Hörvergnügen. Einerseits feierlich, andererseits verspielt, droht dieser Balanceakt auf dem Drahtseil der Wiener Klassik immer wieder aus der Tonart zu kippen. Das Orchester macht das fürs Ohr transparent und nachvollziehbar.
Den Schlusspunkt bildet Mozarts „Jupiter“-Sinfonie. Deren Beginn lässt Ariane Matiakh weniger demonstrativ aufstampfen, als man es sonst oft hört. Sie setzt auf einen eher sanglichen Tonfall, auf feine Triller in den Geigen, auf die delikate Zurücknahme des Klangs ins Pianissimo. Das „Andante cantabile“ strömt in jenen himmlischen Dur-Gefilden dahin, wie sie nur Mozart zu öffnen verstand. Dass das Tempo im anschließenden Menuett nicht sofort steht, bleibt eine Randnotiz.
Durch den Finalsatz fegt die Württembergische Philharmonie Reutlingen noch einmal mit hoher Konzentration und Spielfreude. Die Motivsplitter, die in der äußerst kühnen Durchführung umeinander wirbeln, und die sprühende Freude, die Mozart in strahlendem C-Dur durch Raum und Zeit schickt, wurden wohl erst durch Beethovens Götterfunken abermals übertroffen.