Familienfreuden V: Die Tragik des Blutabnehmens

Spritze Blutabnehmen

Ganz schön fies: Blut abnehmen. (Bild: N. Albach)

Kommt vor, muss aber nicht – das war bislang meine Haltung zu Arztbesuchen. Und ist sie noch heute – wenn es um mich geht. Sobald unsere Tochter allerding kränkelt, sieht es anders aus. Ein Artikel im Spiegel über hysterische Eltern hatte mich schwören lassen, ein ausgewogenes Maß an Aufmerksamkeit und Ruhe an den Tag zu legen. Das gelingt mir auch ganz gut. Aber wenn ich mich dann entschließe, dass unsere Tochter zum Arzt muss, bin ich danach so fertig, als wäre ich zwei Stunden Delphin geschwommen.

Bestimmte Sachen weiß man ja vorher nicht. Zum Beispiel, dass Impfungen eine ganz miese Sache sind. Ich meine jetzt nicht die Debatte, ob Impfen überhaupt nötig ist – sondern die Spritzen an und für sich. Ich hatte mir vorgenommen, unser Kind die ganze Zeit anzustrahlen, um ihr die Angst zu nehmen. Als die Ärztin aber auf die blanken Oberschenkel unserer Tochter zielte und die schrie wie am Spieß – da schossen mir doch wirklich die Tränen ins Gesicht. So viel zur tapferen Mutti. Pustekuchen! Die Methode „Kind, schau auf mein schreckverzerrtes Gesicht und beruhige Dich“ funktionierte dann auch nicht so prächtig.

Beruhigend fand ich allerdings, dass ich damit nicht allein bin. Selbst die Arzthelferin in der Praxis war ganz blass um die Nase, als sie unserer Tochter letztens Blut abnehmen musste. „Das mache ich schon bei Erwachsenen nicht gern“, sagte sie mit zittriger Stimme. Als wir uns nach dem (brüllend kommentierten) Akt bei ihr bedankten, antwortete sie fast schluchzend in Richtung unseres Kindes: „Und Deine Eltern sagen auch noch Danke dafür!“ Wir waren die letzten Patienten an dem Abend. Als wir unsere Tochter beruhigt und angezogen hatten und aus dem Behandlungszimmer traten, waren schon alle Lichter gelöscht. Nur hinter dem Empfangstresen saß noch eine Gestalt. Die Arzthelferin, zusammengekauert und sinnierend über die Tragik des Blutabnehmens.

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4 Antworten zu Familienfreuden V: Die Tragik des Blutabnehmens

  1. Michaela sagt:

    Mein Sohn hatte einst als Kleinkind den allseits gefürchteten Hodenhochstand. Der Kinderarzt, ein emotionsloser Mann, der auch zartestbesaiteten Müttern die Wahrheit ohne Umschweife und sinnlose, weil zeitverschwendende Einfühlsamkeit in knappen, leisen Worten vor den Latz knallte, befand schließlich, eine Hormontherapie sei vonnöten, 10 Spritzen im Abstand von jeweils wenigen Tagen, sonst wird das Kind wahrscheinlich zeugungsunfähig und kriegt auch schneller Krebs.
    Und egal, wie klar einem die Notwendigkeit dieser Tortur ist: Bei jeder Injektion, bei jedem Tränenausbruch dieses kleinen Wesens blutet das Mutterherz (klingt scheiße, ist aber so). Und dieser kleine Junge hat immer geweint und gleichzeitig alles geduldig über sich ergehen lassen, als ob er in dem Alter schon verstanden hätte, dass das wirklich sein musste.
    Nach der 10. Spritze sagte der Arzt: „So, jetzt müssen wir ein wenig abwarten, und wenn es nicht geholfen hat, kommt die nächste Serie.“ Beinah glaubte ich ein leises Glitzern in seinen Augen zu sehen …
    Wir haben uns dann für die OP entschieden, und das war auch nicht so ganz schön, aber genau richtig.

  2. Bernd Berke sagt:

    „Familienfreuden“ von Nadine Albach gibt’s in anderer Form ab heute wöchentlich (jeden Dienstag) auch im Dortmunder Lokalteil der Westfälischen Rundschau.

  3. Bernd Berke sagt:

    Auch wir haben diese blutige Tragödie verschiedentlich durchlitten. Ein Satz Chips für Karussellfahrten gilt inzwischen als geeigneter Tapferkeits-Orden.

    Eure Arzthelferin scheint mir allerdings – stellt man ihre Berufswahl in Rechnung – gar zu zart besaitet zu sein.

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