Ein Ton wie aus dem Nichts. Stark und klar geformt, mit kristallinem Glanz den Raum füllend, balsamisch strömend, um alsbald in allerlei Farben zu schimmern. Solcherart betörender Gesang, den Philippe Jaroussky anstimmt, scheint kaum von dieser Welt zu sein. Nun, immerhin formuliert der französische Countertenor gerade den Dank des Aci an Jupiter für das Geschenk der Unsterblichkeit, in Arienform gegossen von Nicola Porpora. Da darf es schonmal engelsgleich klingen.
Der italienische Komponist gilt als Meister der barocken Opera seria, war Zeitgenosse Vivaldis, zeitweise Konkurrent Händels in London, als es darum ging, die besseren Stücke und virtuosesten Sänger dem Publikum schmackhaft zu machen. Porpora schrieb mehr als 50 Opern, errang aber vor allem als der überragende Gesangslehrer seiner Zeit eminente Bedeutung. Einer seiner berühmtesten Schüler war der Kastrat Farinelli. Ihm schrieb der Komponist – zu beider Ruhm – manche Bravourarie auf den Leib.
Jaroussky hat sich davon einige der effektvollsten, virtuosesten und koloraturreichsten musikalischen Rosinen herausgepickt. Andererseits zelebriert der Counter in Dortmunds Konzerthaus das Verströmen lyrischer Episoden. Es ist ein Abend der großen Gefühle: Überbordende Freude wechselt mit Anflügen von Mitleid, Sehnsucht, unglücklicher Liebe oder stiller Zufriedenheit. Das Schatzkästlein barocker Affekte öffnet sich zu unser aller Erstaunen aufs Schönste.
Dabei wirkt die Körperlichkeit, mit der Jaroussky seine stimmliche Kunst in Szene setzt, wie eine Illustration seelischer Befindlichkeiten. Das mag bisweilen den Manierismus berühren, wie denn auch einige der sanften Melodien das Sentiment streifen. Doch des Sängers Gestaltungskraft, zudem seine traumwandlerische Sicherheit, ohne Brüche zwischen Alt- und Sopranlage zu changieren, lassen den Hang zur Überzeichnung schnell vergessen.
Des Counters Expressivität ist übrigens nicht zu verwechseln mit Verkrampfung oder Anstrengung. Denn alles Technische scheint seiner geläufigen Gurgel kaum Mühe zu bereiten. Nur wenn er sich in die Arie „Wie ein Schiff in mächtigem Sturm“ aus Porporas Oper „Semiramide“ vehement hineinwirft, verhärtet sich die Stimme leicht in der Höhe, klingt ein wenig trocken. Überwiegend aber ist Jaroussky Garant für mitreißenden Schwung und strahlenden Glanz.
Die Ovationen sind ihm sicher, doch am Erfolg des Abends ist auch das 21 Köpfe starke Venice Baroque Orchestra stark beteiligt. Das von Andrea Marcon am Cembalo umsichtig geleitet wird und sich stets im Dienste des Gesangs zurücknimmt, ohne nur beiläufig zu wirken. Das sich andererseits in einigen Instrumentalstücken, etwa in Leonardo Leos Ouvertüre zu „L’Olimpiade“, als zupackend musizierendes Ensemble beweisen kann. Mit rhythmischer Intensität und wunderbar dynamischer Differenzierung. Nur schade, dass manche Solostellen ein wenig verunglücken, etwa in Francesco Geminianis Concerto grosso.
Philippe Jarousskys Plädoyer aber für einen Barockkomponisten, auf den zumeist nur Spezialisten ihr Augenmerk richten, eröffnet dem Publikum eine neue Welt. Und zugleich beweist der Sänger, dass eine Counterstimme nicht übermäßig künstlich wirken muss, bei allem, was sie etwa von einem klassischen Sopran trennt. Dass es vielmehr möglich ist, sie in schönster Natürlichkeit aufschimmern zu lassen. Das eben ist die große Kunst.
(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst in der WR erschienen.)