Herr K. in der Puppenkiste: „Amerika“ am Schauspiel Köln

Foto: Sandra Then

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„Bienvenue, willkommen, welcome“ ruft der Conférencier. Aber er begrüßt nicht die Zuschauer im Kabarett, sondern im „großen Theater von Oklahoma“. Und das steht in Amerika, genauer gesagt in Kafkas „Amerika“, dem unvollendeten Roman, den jetzt das Schauspiel Köln auf die Bühne brachte.

Das Werk wurde postum 1927 veröffentlicht. Kafka schrieb zwischen 1911 und 1914 an dem „road movie“ über Karl Roßmann, der in die USA auswandert, aber nicht sein Glück macht, sondern von Menschen, Umständen und dem Schicksal herumgeschubst wird und schließlich – heute würde man sagen – Praktikant im Theater von Oklahoma wird, das „jeden gebrauchen kann“.

Das Bezaubernde an Moritz Sostmanns Inszenierung ist nun, dass sein Karl von einer Puppe dargestellt wird: Fragil, mit traurigem Gesichtsausdruck, Intellektuellenbrille und Matrosenanzug tragen die Schauspieler dem kleinen Karl auf der Bühne umher, leihen ihm ihre Stimmen und steuern seine Bewegungen. So wird die Macht der anderen über den armen Auswanderer sofort augenfällig, er ist ihr Spielzeug, ihr Werk. Seine Zartheit weckt Beschützerinstinkte, aber verführt auch dazu, ihm übel mitzuspielen, weil er so wehrlos wirkt.

Puppen- und Menschenspiel greifen dabei ineinander über, verschränken sich und geraten zu einer Einheit, die eine äußerst poetische Atmosphäre hervorruft. Man spürt, dass das Ensemble ein harmonisches Team ist: Johannes Benecke, Bruno Cathomas, Philipp Plessmann und Magda Lena Schlott tragen und treiben Karl durch die Handlung, verwandeln sich fortwährend in verschiedene Figuren, die ihm begegnen und die „neue Welt“ erzählen, in die es den Europäer verschlagen hat.

Die Beschleunigung und Technisierung des modernen Lebens wird durch Videoprojektionen (Hannes Hesse) sinnfällig, in den sozialen Beziehungen herrscht ein vom Kapitalismus geprägtes Nützlichkeitsdenken, eine freundliche und zugleich oberflächliche Brutalität. Sostmann betont diesen Zug durch einen überbordenden Humor, der jedem Schauspieler Gelegenheit gibt, die Rampensau rauszulassen, was teilweise in slapstickartigen Szenen mündet. Dabei ist dieses Lachen auch ein Lachen über Karl: Eines, das seine moralischen Prinzipien hinwegwischt und verhöhnt, eines, das deutlich macht, dass Karls Tempo und die Uhren der neuen Zeit ganz und gar nicht synchron laufen.

So kippt das Gelächter um in Traurigkeit und Melancholie, in ein Entsetzen über Menschen, die andere wie Puppen (Hagen Tilp) herumschubsen. Herr K. ist leider eine davon.

Infos, Karten und Termine:
http://www.schauspielkoeln.de/spielplan/premieren/amerika/

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