Hat heute wirklich noch jemand Angst vor der Hölle? Glaubt einer noch ans Fegefeuer als Übergangsstadium ins Paradies? Wo man von seinen Sünden gereinigt wird, z.B. von Wollust, Völlerei, Geiz oder Neid?
In Zeiten von Fifty Shades of Grey oder öffentlichen Abspeck-Sows im TV sind alle Sünden total normal und deren Läuterung hat sich – wenn überhaupt – komplett ins Diesseits verschoben. Die Selbstoptimierung findet hier und jetzt statt und nicht erst nach dem Tod wie noch in Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“.
Die Hölle haben wir auch bereits auf Erden, wenn man an Krieg, Terror und das Leid denkt, das in vielen Weltgegenden herrscht. Folgerichtig also, dass Sebastian Baumgarten in seiner neuen Inszenierung des spätmittelalterlichen Stoffes am Schauspiel Köln einen Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung als Dante (Guido Lambrecht) in den Mittelpunkt des Geschehens stellt.
Abgerissen und seelisch abgestumpft kommt er aus irgendeinem Krisengebiet nach Hause und muss feststellen, dass seine geliebte Frau Beatrice (Yvon Jansen) gestorben ist.
Statt dessen trifft er auf seltsame Leute, die ihn auf eine Art Expedition durch die Hölle schicken, denn wenn es e i n Ausgewählter durch das Inferno hindurch ins Paradies schafft, dann vielleicht alle? Zum Glück hat er einen Kollegen an der Seite (denn eigentlich ist der Krieger Schriftsteller), Vergil aus dem alten Rom. In einer Art antikem Pluderhöschen steigt dieser (gespielt von Seán McDonagh) aus einem schrottreifen Auto und nutzt für seine philosophischen Vorträge die Leinwand wie ein Tablet, über das er flink hinwegwischt.
Die Bühne (Thilo Reuther) behauptet die Hölle als ein gesichtsloses Vorstadt-Mietshaus in einer schlechten Gegend. Die Bewohner sind Huren, Haie, Zuhälter. Statt eines Sandkastens schmilzt vor dem Haus eine Schneefläche vor sich hin, die langsam zu Matsch wird. Vor allem, weil in der Hölle dauernd ein Video-Feuer brennt.
Dantes erste Begegnungen mit Höllenbewohnern sind denn auch rasant erzählt und theatralisch aufgeladen: Das ehebrecherische Pärchen aus Rimini beispielsweise wird effektvoll und in Mafia-Manier direkt im Auto erschossen. Die Zweifler tragen Regenmäntel und werden zu den Haien ins Aquarium geworfen. Diejenigen, die sich der Völlerei schuldig gemacht haben, sind in Fatsuits gezwängt und sehen aus wie extrem übergewichtige Unterschichtsparodien, die zu viel bei McDonald’s gegessen haben. In der Hölle müssen sie deswegen in den Schnee kotzen.
Danach schlafft der Spannungsbogen leider ab: Schon mit dem Fegefeuer kann Sebastian Baumgarten so recht nichts mehr anfangen. Etwas langatmig werden die sieben Todsünden von einer Art Putztrupp durchdekliniert, wie Schürzen werfen sie die Laster ab, wischen ein wenig im Schnee herum und sind plötzlich geläutert. Etwas unvermittelt sprechen sie die historischen Texte der „Göttlichen Komödie“, deren Auswahl man nicht so genau nachvollziehen kann, wenn man sie nicht kennt. Die Rahmenhandlung schreitet indes weiter fort und man begreift, dass Dante wohl im Sanatorium sitzt und die Höllenfahrt in einem Betäubungsmittelrausch erlebt.
Das Paradies schließlich fällt komplett aus: Es erscheint zwar die verstorbene Beatrice und die Höllenbewohner bringen weiße Luftballons mit. Doch Dantes Gesang am stummen Klavier ist nur noch Gestammel. Er klatscht, er will singen, doch er kann die Worte nicht mehr artikulieren und er hat jede Melodie verloren. Er ist versehrt durch die Hölle des Krieges, ein menschliches Wrack, das nicht mehr ins Leben zurückfindet. Schauspielerisch eine starke Leistung von Guido Lambrecht, insgesamt aber eine düstere Deutung: Das Paradies gibt es nicht mehr, die Gegenwart ist die Hölle.
Termine und Karten:
www.schauspielkoeln.de