Melancholie eines umstrittenen Komponisten: Pfitzners „Von deutscher Seele“ in Bochum

Pfitzner auf einem Foto von Wanda von Debschitz-Kunowski, entstanden um 1910.

Pfitzner auf einem Foto von Wanda von Debschitz-Kunowski, entstanden um 1910.

Immer wieder stellt sich bei Aufführungen von Werken Hans Pfitzners die Frage: Soll man die Werke des verschrobenen Nationalisten mit unverkennbarer Nazi-Nähe überhaupt noch aufführen? Sicher, bei seinem Hauptwerk „Palestrina“ verstummen die Kritiken meistens. Um bei anderer Gelegenheit umso nachdrücklicher zu Worte zu drängen.

Vor allem politisch hochkorrekte Säuberer deutscher Gegenwart von braunen Restmüllbeständen holen dann das verbale Desinfektionsgerät heraus: Da werden schon einmal Pfitznerstraßen umbenannt – wie in Münster oder Hamburg – und ein namhafter, jeglichen braunen Unfugs unverdächtiger Dirigent wie Ingo Metzmacher wird in Interviews hochnotpeinlich befragt, weil er es wagte, zum Tag der Deutschen Einheit 2007 Hans Pfitzners romantische Kantate „Von deutscher Seele“ aufzuführen.

Eben jenem sperrigen und ungewöhnlichen, großdimensionierten und anspruchsvollen Werk auf völlig unverdächtige Texte von Joseph von Eichendorff widmete sich Hans Jaskulsky mit dem Chor der Ruhr-Universität und den Bochumer Symphonikern nun im Audi-Max der Bochumer Uni. Jaskulsky hatte die merkwürdige Mischung von Oratorium, Liedzyklus und Orchesterwerk schon 2002 einmal aufgeführt: Er schätzt Pfitzners Musik – und ist damit auf einer Linie mit komponierenden Zeitgenossen wie Wolfgang Rihm oder Dieter Schnebel.

Die kompetente Aufführung vor leider vielen leeren Plätzen belegt wieder einmal: So ruppig konservativ Pfitzner auch in seinen Polemiken gegen musikalische Neuerungen seiner Zeit auftritt, so indiskutabel sein Antisemitismus, seine politischen Einlassungen oder seine Freundschaft etwa zu Hans Frank, dem „Schlächter von Krakau“, sind – musikalisch muss er sich nicht verstecken. Auch wenn seinem gelehrten Satz manchmal etwas Altbackenes anhaftet, auch wenn er die kühne musikalische Chuzpe eines Richard Strauss nicht erreicht: Pfitzner kann mühelos mit dem Stand des Komponierens im Entstehungsjahr des Werkes 1922 mithalten.

Das Haus Hans Pfitzners in Straßburg. Er wirkte dort von 1908 bis 1918. Foto: Werner Häußner

Das Haus Hans Pfitzners in Straßburg. Er wirkte dort von 1908 bis 1918. Foto: Werner Häußner

Er setzt sogar Maßstäbe: Ein formal so innovatives, vielschichtiges Werk wie diese – mit Pause – zweistündige Kantate muss erst einmal gefunden werden. Die Transformation von Elementen aus der Choraltradition Bachs in seine Gegenwart oder die überlegene Freiheit der tonalen Entgrenzungen in den bedeutenden Orchester-Zwischenspielen „Tod als Postillon“ und „Abend – Nacht“ lassen Pfitzner nach wie vor als aufführungswürdigen Komponisten hervortreten. Abgesehen einmal von dem, was er mit anderen dirigierenden Komponisten wie Richard Strauss teilt: eine stupende Kenntnis des Kunst des Orchestrierens.

Der skeptischen Melancholie der Eichendorff-Gedichte war Pfitzner wohl aus eigenem seelischem Erleben sehr zugetan. In den Zeilen aus „Wandersprüchen“, „Sängerleben“ oder den „Geistlichen Gedichten“ geht es um trügerisches Weltenglück, Weltüberwindung und Welteinsamkeit, um die Chiffren von „Nacht“ und „Meer“, um „falschen Fleiß und Eitelkeit“ und das Wunderbare der Sterne und der nächtlichen Stille. Romantische Bilder also, weltfern und unpolitisch, durchtränkt von Schwermut und vom Leiden an der geschäftigen und fröhlichen Oberfläche des Daseins – dem der Postillon das Lassenmüssen verkündet.

So schwer lastend, blechgetränkt, tiefenverliebt und dunkel raunend gibt sich auch Pfitzners Musik. Kaum einmal, dass er ein angezogenes Tempo, einen kräftigen Rhythmus vorschreibt – und wenn, dann ist es die (vergebliche) Flucht stampfender Rosse vor der Nacht. Jaskulsky zeigt mit den anfangs befangenen, später freier spielenden Bochumer Symphonikern, dass Pfitzner kein Komponist des „ungebrochen Gestrigen“ (Wolfgang Rihm) ist.

Unverkennbar verweisen harmonisch spröde Stellen auf Gustav Mahler, unverkennbar steht Pfitzners schmeichellose Melodik gegen die gängigen Muster der Spätromantik. Orchester und Dirigent machen deutlich, dass Pfitzner nach einem Wort des Dirigenten Ingo Metzmacher viel moderner komponiert hat, als er selbst zugeben wollte.

Das gelingt trotz der problematischen Akustik des Audi-Max. Die Streicher haben es schwer, den filigranen Linien zu folgen, die ihnen Pfitzner gewährt. Die Blechbläser können erfolgreicher demonstrieren, wie sie vor allem die choralartigen Stellen klangvoll samtig auskosten können. Das Aufspannen des Klangraums zwischen Piccoloflöte und Posaune funktioniert. Tutti wirken allerdings oft verquollen und uneinheitlich – zweifellos ein akustischer Effekt. Wenn Harfe, Flöte, Horn, Klarinette oder Orgel solistisch zu hören sind, machen sie durchweg glücklich. Es ist zu hoffen, dass Jaskulsky seinen Pfitzner bald im neuen Konzerthaus vorstellen kann. Auch Pfitzners „Das dunkle Reich“ wäre eine Aufführung wert!

Der Chor der Ruhr-Universität macht seine Sache gut: konzentriert in den kurzen Einwürfen, artikulationsgenau in der Eröffnung von „Leben und Singen“, etwa auf den stockenden Worten „… und kommt doch nicht zur Quelle.“ Dank einwandfreier Projektion der Stimme in den Raum überzeugt Rebecca Broberg als Solo-Sopran auch in den Momenten stiller Innerlichkeit. Maria Hilmes, von zahlreichen Rollen am Theater Dortmund in guter Erinnerung, schafft das mit ihrem Mezzo nicht so pastos, bleibt nicht selten trocken und klangarm. Mit Manfred Hemm gibt ein gestandener Bass einen großen, profunden, wenn auch in der Höhe nicht erblühenden Klang. Corby Welsh, Tenor von der Deutschen Oper am Rhein, entledigt sich seiner Aufgaben mit solider Routine, aber ohne sonderlichen Glanz.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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