Auf zur fröhlichen Menschenjagd: Schauspiel Dortmund zeigt Spiel um Leben und Tod

"Wetten dass" war gestern: Für Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) geht es um alles (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

„Wetten, dass…?“ war gestern: Für Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) geht es um alles. (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Das Kommando hat Pistolen, es hat Kalaschnikows, es hat Handgranaten. Es besteht aus drei Auftragskillern, die den Kandidaten einer TV-Show sechs Tage lang quer durch die Stadt jagen. Je später sie ihn töten, desto mehr erhöht sich ihr Preisgeld.

Schafft es der Kandidat hingegen, die mörderische Hatz zu überleben und noch während der Live-Show auf einen roten Knopf zu drücken, erhält er zur Belohnung eine Million Euro. Die Bevölkerung ist dabei ausdrücklich dazu aufgerufen, ihm entweder zu helfen oder ihn auffliegen zu lassen.

Das sind die Spielregeln der „Die Show“ („Die“ spricht sich dabei wie das englische Wort für Sterben). Es handelt sich um eine bitterböse Mediensatire, mit der das Dortmunder Schauspiel jetzt die neue Spielzeit eröffnete. Intendant Kay Voges hat das Stück gemeinsam mit den Dramaturgen Alexander Kerlin und Anne-Kathrin Schulz entwickelt. Ihre Vorlage war ein Fernsehspiel von Tom Toelle aus dem Jahr 1970. Wolfgang Menge schrieb dazu ein Drehbuch, das so realistisch wirkte, dass manche Zuschauer das Spiel für echt hielten und die fiktive Telefonnummer des Senders anriefen.

Der Theaterversion, die nun in Dortmund zu sehen ist, muss ein ungeheurer Aufwand vorangegangen sein. Wie viele Arbeitsstunden mag allein das Drehen der Videos gekostet haben? Beleuchter, Kostümbildner, Techniker, Kameramänner, die Band von Tommy Finke und nicht zuletzt die Schauspieler müssen bis an ihre Grenzen gegangen sein, um das Spektakel auf die Bühne zu bringen.

Ulla (Julia Schubert) und Bodo (Frank Genser) sind ein aalglattes Moderatoren-Duo (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Ulla (Julia Schubert) und Bodo (Frank Genser) sind ein aalglattes Moderatoren-Duo. (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Im Studio richtet Carlos Lobo das Publikum zum Klatschvieh ab, bevor das aalglatte Moderatoren-Duo Bodo (Frank Genser) und Ulla (Julia Schubert) die vergangenen sechs Tage resümiert. Sie lassen ein Feuerwerk von Video-Einspielungen, Expertengesprächen, Schleichwerbung und Studiogästen auf uns los.

Live kommt es dann zum Showdown zwischen Kandidat Bernhard Lotz (eine kolossale Kampfmaschine: Sebastian Kuschmann) und dem Killer-Trio, das uns aus Film und Fernsehen nur zu bekannt vorkommt (wunderbar schräg: Andreas Beck, Björn Gabriel und Bettina Lieder).

Bis ins kleinste Detail führen Voges und sein Team uns den täglichen TV-Wahnsinn vor: die ausgeweideten Emotionen, den auf Quote schielenden Menschen-Zirkus, das Gehechel des Echtzeit-Journalismus, sabbernd vor Gier nach jedem neuen Nachrichten-Schnipsel – fein beobachtet und virtuos persifliert. Doch je länger die „Die Show“ dauert, desto mehr stellt sich die Frage nach dem Erkenntnisgewinn. Natürlich ist das alles widerlich. Aber haben wir das nicht schon vorher gewusst?

Baeby Bengg (Eva Verena Müller) beglückt uns mit  dem japanischen Top-Hit "Surimi Sushi Bang" (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Baeby Bengg (Eva Verena Müller) beglückt uns mit dem japanischen Top-Hit „Surimi Sushi Bang“. (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Schon nach der dritten dilettantischen Gesangseinlage von Castingshow-Stars sehnen wir uns nach der Fernbedienung. Es geht uns wie im wirklichen Leben: Wir möchten umschalten, oder besser gleich ganz ausschalten. Aber diesmal sind wir machtlos, können uns nicht entziehen. Hier heißt es durchhalten bis zum krachenden Finale. Feuerwerk, Konfettiregen, Zusammenbrüche, Siegerposen. Würg.

Das Publikum lacht an den richtigen Stellen. Es scheint die Satire zu goutieren und amüsiert sich dabei wie Bolle. Uns aber beschleicht der Verdacht, dass ein hoher Prozentsatz der Besucher sich privat exakt so verhält wie die Passantin auf dem Dortmunder Westenhellweg (die natürlich von einer Darstellerin gespielt wird). Vom Moderatoren-Team nach ihrer Meinung zur „Die Show“ befragt, sagt sie mit Nachdruck in die Kamera, dass diese natürlich entsetzlich sei, ein menschenverachtender Dreck, der eigentlich verboten werden müsste. „Sie werden die Sendung also nicht sehen?“, hakt das TV-Team nach. Da lächelt die Frau verschmitzt: „Das habe ich nicht gesagt…“

Bis 24. Januar 2016. Ticket-Hotline 0231/50 27 222. Informationen: www.theaterdo.de/detail/event/die-show/

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