Ringelnatz: Witz kann Wunder wirken – zum 125. Geburtstag des Dichters

Wer seine Verlobte „Maulwurf“ und seine Frau „Muschelkalk“ nennt, der muss doch wohl ein lustiger Vogel sein. Stimmt: Der Mann hieß Hans Bötticher und gab sich 1919 den ungleich bekannteren Künstlernamen Joachim Ringelnatz. Doch schierer Witz ist nicht die einzige Zierde des Dichters gewesen, der heute vor 125 Jahren in Würzen bei Leipzig geboren wurde.

Seine berühmtesten Verse sind ins literarische Volksvermögen geflossen. Sie bilden ein unverzichtbares Bindeglied so ungefähr zwischen Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Heinz Erhardt und Robert Gernhardt. Ringelnatz steht also in der hochkomischen Tradition, welche die Deutschen zuweilen so bitter nötig hatten und die sich immer noch am schönsten in Reime ergießt. Mit der heute gängigen Comedy für eine übersättigte Spaßgesellschaft hat das herzlich wenig zu tun.

Auf so manche skurrilen Ideen, auf so manches kleine „Nebenbei“, das Ringelnatz anflog, muss man erst einmal kommen. Da fuhren Braten und Spiegelei bedeutsame Gespräche in Topf und Pfanne. Da werden Ameisen auf Australienreise geschickt, und eine männliche Briefmarke (ein zackiger „Briefmark“) sehnt sich nach einer Prinzessin. Wie sinnig: Die Deutsche Post bringt dieser Tage eine Sondermarke heraus, die sich auf besagtes Gedicht bezieht.

Ringelnatz selbst, beileibe nicht nur Komiker, sondern auch praktizierender Melancholiker (und Alkoholiker), muss eine groteske Figur gewesen sein. Klein von Wuchs, krumme Beine, ellenlange Nase. „Etwas schief ins Leben gebaut“, so hat er sich selbst gesehen. Noch schräger wurde sein Lebenslauf, nachdem er des Gymnasiums verwiesen wurde. Grund: Er hatte vor dem Lehrer mit einem Pausenausflug zur Völkerschau geprahlt, wo ihn eine Samoanerin tätowiert hatte. Unerhört! In einem späteren Zeugnis stand das Prädikat „Schulrüpel ersten Ranges“.

Die Jobs, mit denen er sich notdürftig am Leben hielt und seinen Schnaps bezahlte, sind zahlreich: Er fuhr unter übelsten Bedingungen als Matrose zur See, liebte jedoch zeitlebens das Meer und schuf die versoffene Seemannsgestalt „Kuttel Daddeldu“. Er war Buchhalter, Privatbibliothekar und betrieb einer Tabakladen, der rasch pleite ging. Zeitweise verdingte er sich als Schaufensterdekorateur, Schlangenbändiger und gar (in Frauenkleidern) als „Wahrsagerin“ im Bordell: Harte, bizarre Schulen des Lebens. In seinen Erzählungen wimmelt es von unglaublichen Zufällen, die ganze Biographien bestimmen.

Viele Jahre zog er als „reisender Artist“ und hintersinniger Vortragskünstler umher. Auch im legendären Schwabinger Künstlerlokal „Simplicissimus“ („Simpl“) trat er auf, von da an leuchtete sein Stern erst richtig hell und grell. Was gäbe man drum, wäre man bei solcher Gelegenheit dabei gewesen.

Milieu zwischen Kneipe und Bordell

Ringelnatz-Zeilen schmecken häufig nach „Milieu“, nach (Hafen)-Kaschemme, Boxbude, Bordstein und Bordell – bevor ein Bert Brecht solche Zutaten mit revoltierendem Gehabe anrichtete.

Doch Ringelnatz war äußerst zartsinnig und sponn feinste Sprachfäden. Folgt man einer Charakterisierung Erich Kästners, so wird bei Ringelnatz noch das Banalaste zum kleinen Wunder. Dieser Mann besaß zwangsläufig Bodenhaftung, doch mit wenigen Worten konnte er auch ganz sanft und federleicht zu herrlichstem Phantasieflug abheben. Das ist nicht zuletzt etwas für Kinder, die mit offenem Munde staunen wollen.

Der ungemein produktive Dichter (20 Bände von 1910 bis 1934) war auch ein sehr begabter Zeichner; ein Doppeltalent, wie es so manchen Großkomiker auszeichnet.

Dass ihn die Nazis verfemten und ihm Auftritte verboten, verwundert nicht. Sie konnten weder seine Wirklichkeit noch seine Leichtigkeit verstehen.

Ringelnatz hat jene finsteren Zeiten nicht lange ertragen müssen. Das „herzbetrunkene Kind“ (Selbstbeschreibung) starb am 17. November 1934 in Berlin an Tuberkulose. Seine Grabplatte ist aus – Muschelkalk.

______________________________________________

  • Ringelnatz-Verse:

„In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaus¬see
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da ver¬zichteten sie weise
Denn auf den zweiten Teil der Reise …“

***

„Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin be¬leckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!“

***

„War einmal ein Bumerang,
War ein weniges zu lang,
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.“

Buch: „Sämtliche Gedichte und Erzählungen“. Zwei Bände. Diogenes Verlag, zus. 1280 Seiten, 29,90 €.

(Der Beitrag stand am 7. August 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 18 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Geschichte, Lebenswege, Literatur, Scherz, Satire, Ironie abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.