In Pier Paolo Pasolinis Welt: „Das Leben ein Traum. Calderón“ bei den Ruhrfestspielen

DAS LEBEN EIN TRAUM. CALDƒRON

Nicht einer Meinung: Basilio (Dominique Horwitz), Dona Lupe (Anne Moll) (Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele)

Wo sind sie, die lebenswerten Lebenswelten? Und wie gelangt man zu ihnen? Wer hat eine Chance, wer nicht? Oder sind sie nur frommer Wunschtraum, nicht zu verwirklichen in einer Welt aus Repression und Kapitalinteressen? Pier Paolo Pasolini, der Linksintellektuelle, Autor und Filmregisseur, den man einen Großen nennen muß, hat Fragen wie diese in seinem Werk gern und wiederholt gestellt und damit einen politischen Nerv getroffen, der immer noch vital ist.

Johan Simons startete mit Pasolini 

Zum Auftakt seiner dreijährigen Intendanz als Ruhrtriennale-Chef bediente sich Johan Simons im vergangenen Jahr bei Pasolini und stellte dessen Film „Accattone“ als eine Art Passionsschauspiel mit Musikbegleitung auf die Bühne (bzw. in eine gleichermaßen zugige wie riesige Kohlenmischhalle in Dinslaken).

Nicolai Despot RenŽ Nuss Annette Schlechter Konstantin Rommelfangen Roger Seimetz Wolfram Koch Alexander Schmidt (Videokamera)

Von links nach rechts: Nicolai Despot, RenŽ Nuss, Annette Schlechter, Konstantin Rommelfangen, Roger Seimetz, Wolfram Koch und Alexander Schmidt mit seiner (unsichtbaren) Videokamera (Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele)

Brutale Lebenswelten

Nun fand auch Ruhrfestspielechef Frank Hoffmann seinen Stoff beim italienischen Meister. Die Verunsicherungen unserer Zeit, deren sichtbarster wiewohl gewiß nicht einziger Ausdruck Flüchtlingselend und politischer Rechtsruck in vielen Ländern ist, sieht er bei Pasolini anscheinend schon beschrieben; wenn nicht in konkreten Prognosen, so doch in Stimmungsbildern und in Deutungen sozialer Mechanismen.

Hoffmann hat sich Pasolinis Stück „Calderón“ vorgenommen, in dem ein Mensch, das Mädchen Rosaura, aus dem (süßen?) Nirgendwo des Schlafs in jedes Mal ziemlich brutale (meint auch: realistische) Lebenswelten geschleudert wird. Im Palast eines sadistischen Despoten der spanischen Franco-Ära findet sie sich wieder, in einer trostlosen Hurenexistenz, in einem Konzentrationslager schließlich, und das ist alles eher ein Albtraum, und die Befreiung aus dem Lager bleibt ein Wunschtraum.

Schreckensregiment

Mit Pedro Calderón de la Barcas Stück „Das Leben ein Traum“ (uraufgeführt 1635 in Madrid) hat Pasolinis Geschichte nur noch sehr rudimentär zu tun. Bei Calderón geht es um den Königssohn Sigismund, den man wegen übler Prognosen in einem Turm gefangen hielt, der dann aber befreit wird und ein Schreckensregiment errichtet, weshalb man ihn schließlich wieder wegsperrt. Und zwar für immer (Kurzversion). Übrigens hat Johan Simons das auch schon einmal bei der Ruhrtriennale inszeniert, im Jahre 2006.

Rosaura der Flüchtling

DAS LEBEN EIN TRAUM. CALDƒRON

Dominique Horwitz auf der Leinwand, Wolfram Koch auf dem Stuhl (Foto: Birgit Hupfeld/ Ruhrfestspiele)

Zurück zu den Vorlagen und Pasolinis Kunstgriff, den Fokus radikal zu verändern. Nicht blickt die Welt auf den gleichsam unprogrammierten Menschen, sondern der Suchende – bzw. die Suchende, die gezwungenermaßen suchende Rosaura, die ja eigentlich gar nicht suchen, sondern nur zurück will – blickt auf die Welt und ihre Verhältnisse. Auf ihre Art ist sie ein Flüchtling und eine aktuelle Figur – und Intendant Frank Hoffmann hat sich durchaus den richtigen Stoff für seine erste große Regiearbeit in diesem Jahr der Krisen ausgesucht.

Feinschliff fehlt

Das Star-Aufgebot ist mit Wolfram Koch, Dominique Horwitz und Hanna Schygulla (die die zuvor angekündigte Hannelore Elsner ersetzte) bemerkenswert, die Ausstattung opulent (Bühne: Ben Willikens, Kostüme: Susann Bieling). Doch bleiben die rund zweieinhalb Stunden ohne Pause trotzdem ein schwerer Theaterklotz, in dem hemmungslos überspielt und kräftig deklamiert wird und (nicht nur) die Stars kaum Gelegenheit erhalten, wirklich originell zu sein. Die zahlreichen Sexszenen wirken bemüht, moppig und unerotisch, und überhaupt fehlt Feinschliff, um mit Pointen und Parolen das Publikum zu erreichen. Vielleicht gar zu erschüttern.

DAS LEBEN EIN TRAUM. CALDƒRON

Familienszene mit (von links) Anne Moll, Konstantin Rommelfangen, Jacqueline Macaulay, Nicolai Despot (unten), Dominique Horwitz, Annette Schlechter, Roger Seimetz (Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele)

Pasolinis früher Tod

Weil es irgendwie auch dazugehört, ist zumindest als Andeutung noch der Tod Pasolinis szenisch eingearbeitet. Mit 53 Jahren, wie mancher vielleicht noch weiß, wurde Pier Paolo Pasolini 1975 Opfer einer „Beziehungstat“ durch einen käuflichen Liebhaber. Das Entsetzliche spielte sich in Italien in Strandnähe ab, weshalb wiederholt und bei Dunkelheit ein italienischer Kleinwagen um die (Bühnen-) Ecke biegt. Nun gut, alles hängt mit allem zusammen, aber trotz des hübschen kleinen Autos ist die raunende Erinnerung an Pasolinis Gewalttod eigentlich entbehrlich.

Das Haus war voll, der Beifall kräftig. Und das Träumen sollte man sich auf gar keinen Fall verbieten lassen. Es warb sogar mal eine Bank damit: „Träume sind der Anfang von allem“. Oder war es Vertrauen? Beides wichtig.

Termine: 12., 13., 14. Mai

www.ruhrfestspiele.de

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