Robert Schumann, Meister musikalischer Poesie, hat in seinen Melodien oft eine rührende Unschuld zum Ausdruck gebracht. Geradezu exemplarisch zeigt sich dies in den 13 Charakterstücken des Klavierzyklus „Kinderszenen“ – romantischer Rückblick auf die ersten, für den Komponisten die schönsten Jahre eines Menschen.
Wenn Murray Perahia in der Philharmonie Essen nun die „Kinderszenen“ spielt, in sanfter Klarheit, die darin enthaltene „Träumerei“ mit Gefühl, aber ohne Süße, dann stellt sich der amerikanische Pianist ganz in den Dienst der Romantik, an die Seite Schumanns. Was auch bedeutet, dass der Interpret die geforderte Virtuosität allein als Mittel zum Zwecke des größten Ausdrucks anwendet.
Perahia, dem die Liebe zur Melodik eigen ist, der Linearität höher stellt als Struktur, entpuppt sich so im Gesamtprogramm dieses Konzerts als leidenschaftlicher, an seinen Grundsätzen nie rüttelnder Romantiker. Wenn er also in Bachs 5. Französischer Suite die Dynamik zurückfährt, erklingt ein poetischer Unterton. Nie würde er sich bei dem barocken Altmeister in Detailarbeit verlieren, hat er er einmal in einem Interview erklärt.
In den empfindsamen Teilen der Beethoven-Sonate op. 90 wiederum schimmern Idylle und Pastorales durch. Natürlich verfügt Perahia auch über ein drängendes Espressivo, doch kaum dürfte er den Klassiker als brachialen Revoluzzer präsentieren. Aber Perahias Ansatz geht nicht überall auf. Brahms’ Klavierstücken op. 119 fehlt das Grüblerische und manches gleitet ins Sentiment. Ein bodenständiger Ernst geht hier von diesem Spätwerk aus, etwas schwerfällig artikuliert. Man erlebt des Pianisten Ringen mit der Materie, und vielleicht hat dies ja doch etwas mit seiner Geschichte zu tun: Eine Verwachsung des rechten Daumenknochens musste operativ korrigiert werden, was Perahia in den 90er Jahren zu Pausen beim Konzertieren zwang.
So hoch also seine Musikalität einzuschätzen ist, so sensibel er sich den Stücken nähert, so verwuselt er sich doch bisweilen im dichten Klaviersatz. Das führt etwa dazu, dass Chopins Musik manchmal die Eleganz und reflektierende Tiefe fehlt. Herb und spröde tönt es herauf. Perahia also scheint sich in Essen als Romantiker zu präsentieren, dem Schumann wesentlicher Fixstern ist. In den lieblichen „Kinderszenen“ gelingt dem Pianisten die Balance zwischen struktureller Klarheit und lyrischer Empfindung so optimal wie sonst nirgends. Der Komponist sah im Natürlichen der kindlichen Welt (im Sinne einer naturgegebenen Unschuld) die Quelle jeder Poesie. Perahia kommt ihr auf die Spur.