Mit den alten Symbolen im Netz unterwegs

Es scheint mir eine kleine Betrachtung wert zu sein, dass wir uns in der virtuellen Welt anhand von Bildern aus analogen Zeiten bewegen. Das Greifbare und das Fassbare stehen fürs buchstäblich Unbegreifliche. Bislang noch. Wie es später werden wird, weiß niemand. Auch und erst recht nicht die Zukunftsforscher.

Papierschwalbe (Telegram) und Telefonhörer (WhatsApp) als Zeichen zweier Messenger-Dienste. (Screenshot)

Papierschwalbe (Telegram) und Telefonhörer (WhatsApp) als Zeichen zweier Messenger-Dienste. (Screenshot)

Schauen wir uns mal einige Logos an: Das gängige Mailprogramm wird durch einen Briefumschlag veranschaulicht, ein Telefonhörer vorgestriger Bauart (warum nicht gleich eine Wählscheibe?) ist Markenzeichen für einen Messenger-Dienst, ein anderer wird mit einer Papierschwalbe wie aus Kinderzeiten bezeichnet. Ein Fuchs ringelt sich als Signal für einen der meistgenutzten Browser, ein stilisierter Karteikasten zeigt einen Cloud-Service an, andere Cloud-Anbieter wählen die nahe liegende Wolke.

Die Grundeinstellungen vieler Computer-Programme steuert man an, indem man auf vorsintflutlich anmutende Zahnräder klickt. Ein aufgespannter Schirm symbolisiert das Antivirenprogramm, eine Video-Bearbeitung kommt mit einer symbolischen Kamera aus lang zurückliegenden Zeiten und mit einer ganz gewöhnlichen Schere daher.

Ich weiß: Euch fallen noch viele, viele weitere Beispiele ein – allen voran jenes angebissene Obst, das einen Weltkonzern mitsamt seinen Produkten meint und oftmals parodiert wird, beispielsweise als Birne in Donald-Duck-Geschichten.

Jedenfalls wird es schon bald Generationen geben (sie formieren sich schon jetzt), die mit Briefumschlägen oder Zahnrädern kaum noch etwas anfangen können; die damit nichts Erlebtes mehr verbinden, sondern nur noch durch bloße Verknüpfungs-Konventionen auf die richtige Spur kommen, die also abstrakter denken (müssen) als ihre Vorfahren, man könnte auch sagen: unsinnlicher, leidenschaftsloser. Sicherlich könnte man diesen Befund auch im Sinne erhöhter Rationalität positiv wenden. Ob’s aber stimmig wäre?

Derweil naht schon längst Abhilfe, indem wir unsere Anweisungen über Mikrofonsysteme geben können. Mit altertümlichen Bildern müssen wir uns dabei nicht mehr aufhalten. Wir stammeln unsere unmittelbaren Bedürfnisse und Sofort-Befehle in die Apparatur hinein – und schon geschieht, was wir wollen; auf der jeweils begrenzten Programmebene, versteht sich. Wir sind hier schließlich nicht im Schlaraffenland.

Wenn man nicht damit aufgewachsen ist, kommt es einem aber recht gespenstisch vor, wie da mündliche Anweisungen aufs Schnellste erfüllt werden – Pannen und Unzulänglichkeiten einstweilen noch inbegriffen. Doch selbst wenn die Geräte alle Ansprüche „in Echtzeit“ erfüllen, die an sie herangetragen werden: Grundsätzlich ändert sich damit wenig an unserem irdischen Dasein – mal abgesehen von unserem Verhältnis zur erfassbaren Wirklichkeit.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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