Auf Zeche Zollverein – als Touristin im eigenen Revier unterwegs

Es hatte mich schon lange geärgert. Man besucht Paris, London, Barcelona – latscht durch halb Europa von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, aber das Weltkulturerbe vor der Haustür? Das kannte ich gerade mal vom Besuch eines Weihnachts-Oratoriums und und als Aufdruck auf meinem „Ruhrpott-Mädchen“ Shirt. Geht eigentlich gar nicht.

Die uns in diesem Jahr begleitende Ruhrtop-Card gab den Ausschlag, wir buchten eine Führung auffe Zeche Zollverein. Oder besser gesagt: inne ehemalige Kokerei vonne Zeche. Das ist der Teil des Areals, den man durch die Bilder der winterlichen Eisbahn auf der gefluteten alten Kohlenstrasse vor Industriekulisse kennt.

Auf dem Dach der Kokerei Zollverein

Natürlich kann man auch sich auch so auf Zollverein umsehen, aber wenn man es gerne etwas detaillierter hätte und noch dazu sich Bereiche anschauen und erlaufen möchte, die ansonsten nicht zu den öffentlich zugänglichen gehören, muss man schon einen Platz in einer der angebotenen Führungen buchen.

Zuerst geht es auf das Dach der Kokerei, von dem man einen guten Überblick nicht nur über das Areal Zollverein hat, sondern auch über weite Teile des Ruhrgebiets. Die Arena auf Schalke kann man sehen, den Gasometer Oberhausen und sogar den Chemiepark Marl. Die Halden, den Tetraeder natürlich und nicht zuletzt die sich noch in Betrieb befindliche Bottroper Zeche Prosper Haniel samt Kokerei.

Es ist ein eigenartiges Gefühl. Auf dem Dach der einst großen Kokerei stehend kann man schon gut sehen, wo die Natur sich ihr Recht zurückerobert, man fühlt sich wie auf den Spuren einer verlorenen Vergangenheit. Doch nur wenige Kilometer weiter qualmt eine große weiße Wolke, wie sie auch die Kokerei auf Zollverein lange Jahre ausgestoßen hat. Dort drüben ist die Vergangenheit noch Gegenwart. Leider aber auch dort wohl ohne Zukunft. Sozusagen ein Überblick über das Dilemma des Ruhrgebiets.

der Kohlebaum Treppauf, treppab neben Kohlestrassen, über Trassen geht es weiter mit der Führung. Zunächst auf der schwarzen Seite – dort, wo die Kohle gebacken und durch diesen (mir bisher en detail nicht bekannten Prozess) zu Koks verarbeitet wird.

Wir wurden begleitet von einer ausgesprochen sachkundigen jungen Frau, der deutlich anzumerken war, dass sie sich für die Thematik weit über die eigentliche Führung hinaus interessierte und die dadurch auch auf keine Frage eine Antwort schuldig blieb. Der Rückweg führt über die weiße Seite, dort wo das als „Abfallprodukt“ aus der Kohleverarbeitung gewonnene Gas geführt und zur Stromversorgung auf das eigentliche Zechenareal geleitet wurde. Spannend auch der Raum, in dem man lernt, welche Produkte und Güter auf Koks in der einen oder anderen Form angewiesen sind.

Doch natürlich – so einfach ist das mit dem Tourismus im eigenen Land nicht. Klar, es sind tolle Motive, die sich dem Auge bieten, doch so einfach begeistert man sich nicht für das, was heute als Industriekultur schön geredet wird. Es beschleicht einen das gleiche Gefühl, das hochkommt, wenn man um das Areal des Centro Oberhausen herum fährt und unvermutet das Bild vor Augen hat, wie es noch in den 80ern zu Zeiten der Gute-Hoffnungs-Hütte dort aussah. Das gleiche Gefühl, wenn man das Bergbaumuseum Bochum besichtigt. Eine beklemmende Mischung aus Trauer um das Vergangene und Angst um die Zukunft im Revier. Man kann die Route der Industriekultur noch so lobenswert finden, letzten Endes zeugt sie von Vergangenem.

Vergangene Arbeitsplätze vor allem. Man steht auf dem Dach von Zollverein und sieht die weiße Wolke aus Bottrop. Sie scheint zu sagen: „Seht her, das ist alles, was geblieben ist und viel mehr kommt da auch nicht nach.“ Und egal, ob man in Bochum durch alte Schächte kriecht oder auf Zollverein rumklettert, eine Frage kommt immer: Wie kommt es, dass soviel Kohle benötigt wird, soviel Kohle bei uns liegt und nichts mehr gefördert wird? Die Antworten darauf sind mannigfach, die eine – womöglich entscheidende mag die sein, dass unsere Kohle so tief liegt und so schwer zu fördern ist. Andernorts auf der Erde braucht man sie quasi nur zu pflücken.

Dennoch, es kommt immer auch die Antwort: Wir in Deutschland, wir produzieren zu teuer. Wegen der Löhne, der Sozialabgaben, man kennt das. Der Weltmarkt verlange Kohle zu niedrigen Preisen und andernorts kann man dieses Verlangen bedienen. Besonders zu teuer eben auch immer: die hohen Sicherheitsstandards hierzulande. Man hört sich das alles also an auf Zollverein, nimmt es bedrückt mit nach Hause und wenige Tage später hört man bestürzt von dem verheerenden Grubenunglück in der Türkei und sieht verzweifelte Demonstranten, die mit Gewalt daran gehindert werden sollen, für bessere Sicherheit zu demonstrieren.

Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen. Denn das mulmige Gefühl, es bleibt mir. Was wäre, wenn es global akzeptierte Sicherheitsstandards gäbe? Wären dann die türkischen Bergarbeiter nicht heute arbeitend im Schacht und gäbe es dann vielleicht noch andere Arbeitsplätze auf Zollverein als die der Touristenführer?

Einen Überblick über die Angebote des Weltkulturerbes Zeche Zollverein gibt die Homepage http://www.zollverein.de/ Auch die Führungen kann man dort unkompliziert buchen.

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2 Antworten zu Auf Zeche Zollverein – als Touristin im eigenen Revier unterwegs

  1. Britta Langhoff sagt:

    na, da werden ja wohl noch ein paar Anregungen für die nächsten Tour de Ruhr Unternehmungen bei sein…

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