Der Mensch in hundsgemeinen Perspektiven – Bilder von Johannes Grützke in Olpe

Von Bernd Berke

Olpe. Fast alle Menschen auf Johannes Grützkes Bildern wirken, als habe sie einer im falschen, im denkbar peinlichsten Moment ertappt. Sie schneiden allerlei krampfhafte Grimassen; krähend lachen sie, als wären sie völlig entgeistert – und vom Ebenmaß oder Schönheit dürften sie nicht einmal träumen.

Der Berliner Grützke, vieldeutig funkelnder Ironiker und Sarkast unter Deutschlands (kritischen) Realisten, firmiert eigentlich als ausgesprochener Großstadt-Maler. Doch jetzt hat es eine Reihe seiner Bilder ins sauerländische Olpe verschlagen, noch dazu in den Saal des Kreishauses. Ob sich die Leute, die dort in den nächsten Wochen tagen, unter den stechenden Blicken der Grützke-Gestalten immer behaglich fühlen werden?

Klaus Droste vom Olper Kunstverein Südsauerland hat die Schau in Zusammenarbeit mit der Essener Galerie „KK“ erstellt. Die meisten Stücke dieser ausschnitthaften Retrospektive (Ölbilder, Lithos, Radierungen, Pastelle von 1964 bis 2004) sind daher käuflich zu erwerben.

Sie starren dich an wie nicht gescheit

Grützke zeigt seine Figuren (darunter häufig Varianten seiner selbst, mit spezifisch grünlichem Bartschatten) in gewagten Anschnitten, so dass im Extremfalle kopflose Wesen herumgeistern. Auch lässt der Künstler den Modellen derart hundsgemeine Draufsicht-Perspektiven angedeihen, dass ihre quellend fleischlichen Körper zu aberwitzigen Verkürzungen gestaucht werden. Überdies rücken sie einem so beängstigend nah, als wollten sie im Nu das Bild verlassen. Und vielfach starren sie den Betrachter an wie nicht gescheit. Herrlich grauslich.

„Schule der Neuen Prächtigkeit“

Grützke (Jahrgang 1937) trat 1973 pompös hervor, als er u. a. mit Matthias Koeppel (Erfinder der erzkomischen Kunstsprache „Starckdeutsch“) die „Schule der Neuen Prächtigkeit“ ausrief. Malen und fürstlich auftrumpfen wie die alten Meister, aber nichts und niemanden ernst nehmen, so könnte die Devise gelautet haben. Büstenhafte Figuren aus dem traditionellen Kanon tragen denn auch schon mal schnöde moderne Armbanduhren und schauen drein wie untote Wiedergänger nach überlangen Videonächten.

Der Dämon des Grotesken

Eine Wegmarke in Grützkes späterem Schaffen war das über 30 Meter lange Wandbild zur gescheiterten 1848er Bürger-Revolution, gemalt für die ehrwürdige Frankfurter Paulskirche (1991). Bilder zu diesem Themenkreis, den Grützke mit Herzblut verfolgt, finden sich nun in Olpe.

Hauchzarte, ätherische Porträts zeugen davon: Inhaltlich stets am klassischen Bildungsgut orientiert, hat Grützke allemal das Zeug zur wunderbar seidigen Feinmalerei. Doch meist ergreift der Dämon des Grotesken von ihm Besitz. Dann fährt der Pinsel wie ein Kobold drein.

Kreishaus Olpe. 28. März (Eröffnung 17 Uhr in Anwesenheit des Künstlers) bis 21. April.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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