Das Leben ist wichtiger als die Kunst – Düsseldorfer Schau über den Freigeist Robert Filliou

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Sein Herz schlug links: Dem französischen Künstler Robert Filliou (1926-1987) ging es um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und immer um Veränderung. Da sollte alles fließen, nichts sich verfestigen. Deshalb galten ihm lustvolle Denkprozesse mehr als etwaige künstlerische „Ergebnisse“.

Hauptsache war der kreative Impuls. Filliou scherte sich nicht einmal darum, ob etwas gut, schlecht oder gar nicht gemacht war. Und so füllte er zahllose Holzboxen mit Fundstücken oder simplen Objekten (z. B. rote Socken) nach jener wurschtigen Anti-Regel. Die jeweils dritte Schachtel blieb leer: nicht gemacht eben. Er sei just ein „Genie ohne Talent“, hat Filliou einmal selbstironisch wissen lassen.

Schwierig ist’s, einem solchen Werk und seinem Witz posthum gerecht zu werden. Denn man kann ja nur die Relikte des fröhlichen Schaffens zeigen. Wenn Düsseldorfs Museum Kunstpalast jetzt eine Retrospektive mit rund 180 teilweise vielgliedrigen Exponaten präsentiert, dann läuft sie Gefahr, den einst so wachen und spontanen Geist „einzusargen“. Immerhin hat man auch Filme aufgetrieben, die von den munteren Aktionen zu Lebzeiten zeugen.

Uferloser Strom der Einfälle

Ab 1944 gehörte Filliou zur Résistance gegen die Nazi-Besatzung. In den 1950er Jahren war er als Wirtschaftsexperte für die UNO tätig. Weltweit, u. a. in Fernost, Kanada und Mali, hat er sich auch später umgetan. Stets hatte er soziale Utopien im Sinn, die er mit allerlei Netzwerken und Tauschbörsen animierte. Von 1968 bis 1974, in rebellischen Jahren also, hat Filliou in der regen Düsseldorfer Kunstszene gewirkt – im Umkreis von Joseph Beuys, Daniel Spoerri, George Brecht, Dieter Roth.

Die Schau vergegenwärtigt einen schier uferlosen Ideenstrom. Man spürt in diesem kopfgeborenen Chaos tatsachlich noch etwas von der permanenten Gärung, die alles zu verwandeln trachtete.

Jemand wie Filliou musste natürlich den Kunstbetrieb verulken: Eine Arbeit heißt „Wertloses Werk“, an einem Putzeimer mit Schrubber prangt das Pappschild „Bin in 10 Minuten zurück – Mona Lisa“, und zu einer „Ausstellung“ hat Filliou mal das Publikum freundlich ausgeladen. Daher kam auch niemand, und er war’s zufrieden.

Eine Mini-Galerie unter der Mütze

Filliou erweist sich als „Bastler“, der jegliches Ding zu verwenden wusste. Eine Art Glücksrad erzeugt beim Drehen nahezu poetische Zufalls-Sätze. Unter einer schlichten Papiermütze verbarg Fillou auf seinem Schopf eine „Galerie“ mit Mini-Exponaten, die er auf der Straße feilbot. Von diesem Einfall sind Fotos geblieben.

Eine Raumfolge (sie heißt „PoiPoi“ – nach einem Gruß- und Gesprächsritual in Mali) mit etlichen Werkzeugen soll die Besucher zum Mitschöpfen anregen. Jeder ist ein Künstler, wenn man’s so nimmt…

Die Meditation nach der Revolte

Filliou hat sich von Entdeckerlust leiten lassen, nicht von Fachdebatten. Man merkt, dass hier ein ziemlich freier Mensch zugange war, der nicht die Kunst, sondern das Leben verbessern wollte.

Grandioser Anblick zum Schluss: 5000 wahllos hingekippte bunte Spielwürfel zeigen samt und sonders den Wert „1″ obenauf. Kein Zufall, denn sie tragen diese Augen-Zahl auf allen Seiten. Letztlich eine spirituelle Aussage übers Schicksal. Gegen Ende seines Lebens zog sich Filliou denn auch in ein tibetisch ausgerichtetes Kloster in Frankreich zurück – die Meditation nach der Revolte.

Robert Filliou – „Genie ohne Talent“. Retrospektive. Bis 9. November im Museum Kunst Palast, Düsseldorf (Ehrenhof 4-5). Di-So 11-18 Uhr. Katalog 34 Euro, Kurzführer 50 Cent.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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