Der rastlose König aus dem Sauerland – Nicht nur ein Kuriosum der Historie: Theodor von Neuhoff regierte 1736 auf der Insel Korsika

Von Bernd Berke

Lüdenscheid/Korsika. Das sind besondere Urlaubserlebnisse: Wenn man auf unverhoffte Spuren aus heimischen Gefilden stößt. Da fliegt man auf die Mittelmeerinsel Korsika, schwebt schon über der gebirgigen Landschaft, blättert im Reiseführer und findet zwei Extra-Seiten über einen historischen Mann aus dem Sauerland. Kaum zu glauben: Er war als „Theodor I.“ der einzige König, den die Insel je hatte.

Theodors direkte Linie ist zwar vor geraumer Zeit ausgestorben. Doch ein weitläufig verwandter Nachfahre des „Königs aus dem Sauerland“ lebt mit seiner Familie in Lüdenscheid. Baron Alhard Freiherr von dem Bussche-Kessel wohnt auf Schloss Neuenhof. Zu Theodors 275. korsischem Thronjubiläum (2011) plant er schon jetzt ein umfangreiches Gedenk-Programm – mit Ausstellung, Vorträgen, Theater und Musik – auch von der heute französischen Insel.

Spieler, Diplomat und Geheimagent

Der Lüdenscheider Baron wünscht sich „endlich eine gerechte historische Beurteilung von Theodors Leistungen.“ In der Tat: Bisher hat der unstete Altvordere keinen sonderlich guten Leumund in der Geschichtsschreibung. Die freilich ist noch reichlich lückenhaft. So weiß man nicht einmal mit letzter Sicherheit, ob Theodor in Köln oder Metz geboren ist.

Jedenfalls ist er von sauerländischem Adel. Schloss Neuenhof gehörte jenen verzweigten westfälischen Neuhoffs, denen eben auch Theodor Stephan Freiherr von Neuhoff (1694-1756) entspross. Einen Teil seiner Kindheit hat Theodor auf dem Stammsitz seiner Linie verbracht: Gut Pungelscheid bei Werdohl, dessen Ruinenreste längst abgetragen sind.

Doch auf Dauer zieht es ihn in die Ferne. Theodor ist ab 1709 Page von Liselotte von der Pfalz, die ihn am prachtvollen Hof in Versailles einführt. Glanz und Intrigen wirken offenbar verführerisch. Nach und nach entwickelt er sich zum umtriebigen Abenteurer, der im Lauf seines Lebens in ganz Europa und Nordafrika herumkommt – als notorischer Glücksspieler, der zuweilen heftig Schulden macht, doch häufig auch in diplomatischer Mission. Es gibt Quellen, die in ihm gar einen „Agenten“ für wechselnde politische Auftraggeber sehen wollen. So habe er etwa für Schweden in Spanien spioniert und hernach für Österreich gekundschaftet.

Korsischen Widerstand gegen Genua organisiert

Und wie wird er König von Korsika? Nun, die Insel steht seinerzeit unter genuesischer Fremdherrschaft. Dagegen hat sich eine Unabhängigkeitsbewegung formiert. Durch Verhandlungsgeschick erwirkt der beredsame Theodor die Freilassung gefangener Korsen. Das kommt bei den Exil-Korsen in der Toskana derart gut an, dass sie ihm den Königstitel in Aussicht stellen – falls er Soldaten und Finanzmittel zur Befreiung der Insel organisieren könnte. Mit geliehenem Geld gelingt es Theodor, ein Schiff auszurüsten, in Tunis Söldner anzuheuern und auch Getreue aus dem Sauerland für die Rebellentruppen zu gewinnen. Er selbst trägt als Anführer ein bizarres Phantasiekostüm.

Die Korsen halten Wort. Am 15. April 1736 wählen Repräsentanten der Inselbevölkerung diesen Theodor zum König. Seine Leute drängen die Genueser vorübergehend zurück. Er erlässt eine fortschrittliche Verfassung, wendet sich pathetisch an die Herrscher Europas. Doch Glück und Königtum währen nicht lange. Schon am 11. November muss er die Insel fluchtartig verlassen und stets vor gedungenen Mördern auf der Hut sein. Zwei Rückkehrversuche enden kläglich.

Trotzdem: Bis heute hat Theodor bei manchen korsischen Unabhängigkeitskämpfern(die sich gegen Frankreich wenden) einen recht klangvollen Namen. Auf der Insel sind einige Straßen und Plätze nach ihm benannt.

Theodors zuweilen so pralles Leben endet betrüblich. Nach vielen weiteren rastlosen Wanderjahren landet der Zechpreller im Schuldturm von London. Berühmtheiten wie der Schriftsteller Horace Walpole und der Schauspieler David Garrick besuchen ihn.

Unter ärmlichen Umständen stirbt der einstige König am 11. Dezember 1756.

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HINTERGRUND

Phantasiestoff für Künstler

  • Als schillernde Gestalt hat Theodor von Neuhoff die Phantasie von Künstlern beflügelt.
  • Voltaire hat ihm in seinem „Candide“-Roman ein Denkmal gesetzt.
  • Giovanni Paisello komponierte die ziemlich triviale Oper „II Re Teodoro in Venezia“ (uraufgeführt 1784).
  • Auch der berühmteste aller Korsen, Napoleon Bonaparte, habe sich literarisch mit Theodor befasst, heißt es.
  • Nestroy schrieb das Stück „Prinz Friedrich von Korsika“, in dem Theodor vorkommt.
  • Jüngere Publikation: Michael Kleeberg „Der König von Korsika“‘, Roman (2001).
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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