Lustvoll kneten und naschen – New Yorks freche junge Kunstszene zu Gast im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. 17 000 Bilder in sechs Jahren hat der Amerikaner Stephen Keene gemalt. Der Fließband-Künstler ist reif fürs Buch der Rekorde. Wenn wir mal nur von Ziffern sprechen, so war – damit verglichen – der hochproduktive Picasso ein bedächtiger Mann. Keene bietet jedenfalls nur eine von vielen schrägen Attraktionen der Kunstschau „l Love New York“ im Museum Ludwig.

Dem 41jährigen Rasanz-Künstler aus der zumeist haßgeliebten US-Metropole kann man in Köln live bei der Arbeit zuschauen. Fertige Sperrholz-Bilder werden, kaum daß sie trocken sind, gleich ans Publikum verkauft: zu Spottpreisen von 3 bis 5 DM, je nach Größe; solange der Vorrat reicht.

Die witzige Attacke auf Wertmaßstäbe des Kunstmarktes deutet schon auf einen Kern der Ausstellung hin: Maßstäbe werden in der jungen New Yorker Szene (hier: 28 Künstler) kaum noch angepeilt. Bar jeder Ideologie und meist ganz entspannt im Hier und Jetzt, sprengt man Medien- und Gattungsgrenzen, wirbelt man Stile und Niveaus, Ernst und Entertainment kunterbunt durcheinander.

Museumsdirektor Jochen Potter nennt diese Kreuzungen – ganz flott – „Crossover“. Tatsache ist: Etliche Exponate haben Jahrmarkts- oder sogar Rummelplatz-Charakter. Man fühlt sich animiert, nimmt aber vielfach nur flüchtige Eindrücke mit. Eine Kunstschau für die Videoclip-Generation.

Hinein geht’s über eine flackernde Disco-Treppe

Die so gar nicht weihevollen Hallen betritt man über eine Disco-Treppe mit Flackerlichtern in den Stufen. Durch diese Arbeit von Piotr Uklanski auf „Hully-Gully“ eingestimmt, darf man ums nächste Eck auf Stühlen Platz nehmen, sich Kopfhörer überstülpen und lustbetont in rosaroter Modelliermasse kneten. „Body Study Center“ (Zentrum für Körperstudien) nennt Charles Long seine Installation.

Dermaßen auf leibhaftigen Zugang zur Kunst konditioniert, wundert man sich kaum noch, wenn man sich in Jack Piersons nachgebautem Striptease-Lokal unversehens auf der Bühne wiederfindet. Bekleidet, versteht sich wohl. Man staunt auch nur noch begrenzt, wenn man in Mark Dions marktschreierisch angekündigtem Schaustellerzelt („Zoologisches Wunder!“) ein absurd konstruiertes Tiergerippe aus Kuhrumpf und Bärenkopf besichtigte. Wer neugierig hineingeht, hat sich selbst als Voyeur entlarvt, der sich am Bizarren ergötzen will.

Also schämt man sich ein wenig. Doch schon steht man – wie zum Trost – vor einem Hügel golden eingewickelter Bonbons („Placebo II“ von Felix Gonzalez-Torres). Man soll davon naschen, auf daß das Kunstwerk allmählich schrumpfe und Schwund-Melancholie freisetze. Wenige Meter weiter erlebt man das Gegenteil von Schwund: Ein machtvoller Dinosaurier (Thom Merricks Schöpfung) versperrt, fast bis zum Platzen mit Luft vollgepumpt, einen Durchgang. Putzig.

Irgendwann ist man aber doch dankbar, daß die Ausstellung auch stille Momente be- schert. Die gebürtige Japanerin Mariko Mori entwirft die wandfüllende Vision eines Zauberwaldes mit Feen und asiatischen Schriftzeichen. Jessica Stockholder erzeugt sanfte Energiefelder zwischen textilen Dingen des Alltags. Der aus Jamaika stammende Nari Ward verstreut Dutzende geschnürter Bündel, die Brandspuren tragen und karge Habseligkeiten enthalten. Stillleben in Zeiten der Apokalypse.

Auch die Popmusik-Stars David Bowie und Laurie Anderson zählen hier zu den „Stillen im Lande“. Ihre Zeichnungen sind bei gemeinsamen Telefonaten entstanden. Beide sagen, es sei „Telepathie“ im Spiele gewesen. Nun ja. Jedenfalls haben sie schön reduzierte Rebus-Rätselbilder gekritzelt.

Museum Ludwig, Köln. Bis 31. Januar 1999. Di 10-20, Mi bis Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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