In finsteren Zeiten – „Jugend ohne Gott“ nach Ödön von Horváth am WLT in Castrop-Rauxel

Von Bernd Berke

Castrop-Rauxel. Gewiß doch: Die Weißen seien den Schwarzen wohl überlegen. Freilich: „Auch die Neger sind Menschen“, schränkt der Geschichtslehrer verschämt ein. Genug. Das reicht. Schon beschweren sich die Eltern der Schüler über die „Humanitätsduselei“, schon fordern die Pennäler eine andere Lehrkraft von deutschnationalem Schrot und Korn.

Wahrlich, sie lebten in finsteren Zeiten: 1937 schrieb Ödön von Horváth den Roman „Jugend ohne Gott“, eine wie mit dem Seziermesser vollführte Freilegung alltäglicher Verhaltensweisen im Totalitarismus. Die illusionslos knappe und klare Prosa eignet sich wegen der vielen Dialoge bestens für eine Bühnenumsetzung.

Metallische Töne im Studio des Westfälischen Landestheaters (WLT): Sechs frei hängende, plattgewalzte Stahl-Rechtecke beherrschen die karge Bühne. Schlagen oder treten die Schauspieler vor diese Bleche, so hört man jenes bedrohlich flatternde Geräusch, das aus einer menschenleeren Welt zu kommen scheint.

Und tatsächlich: Sind es denn noch wirkliche Menschen, die einander hier bespitzeln und denunzieren? Oder sind es nicht schon seelenlos starrende Wesen in einem geist- und gottfernen „Zeitalter der Fische“ wie Horváth es nennt?

Im Wehrerziehungslager müssen die Jugendlichen vor dem Feldwebel (Britta Kohlhaas) zackig exerzieren. Sie tun es bereitwillig. Im Marschtritt üben sie asiatische Kampftechniken. Dazu wummert Techno-Musik. Zudem wird der gängige, erotisch nicht gerade attraktive Mädchentypus der Zeit „Venus mit Rucksack“ genannt. Aha, aha: Kraftsport, Techno und Rucksack. Da hört man Zeitgeist trapsen, geradewegs in unsere Gegenwart hinein. Ob’s auch stimmig ist?

Schüler „Z“ (Peter Stemler) hat sich einen Rest von Eigensinn bewahrt, er schreibt im Lager heimlich Tagebuch und liebt nächtens ein streunendes Mädchen. Der Lehrer (Frank Schikore) bricht das Tagebuch-Kästchen auf, „Z“ aber verdächtigt den Mitschüler „N“ (Jens-Peter Fiedler), der bald darauf tot aufgefunden wird, erschlagen mit einem Stein. Wer war’s?

Vor Gericht tun sich Abgründe auf: Schüler „T“ (Karsten Leyer), der mit dem kalten Fisch-Blick, wollte alles mal selbst sehen, Geburt und Tod. Nur um zu wissen, wie es ist. Ansonsten unberührt, fühllos.

Einfach und klar wie die Vorlage ist Marc Wernlis redliche Inszenierung geraten, er hat die Szenenfolge in kurze scharfe Auf- und Abblenden gegliedert. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, er habe zu früh Bescheid gewußt und den Stoff gar nicht so genau erkundet.

Im insgesamt passablen Spiel des jungen Ensembles fehlen gelegentlich feinere Nuancen. Die Brüllerei klingt immer gleich. Sie haben’s aber auch nicht leicht. Oft binnen Sekunden müssen sie ihre Rollen wechseln und beispielsweise plötzlich den eigenen Vater spielen. Das schlaucht.

Nächste Termine: 5. März, 10.30 Uhr (Castrop-Rauxel), 1 1. März, 10.30 Uhr (Olpe, Stadthalle). Infos und Karten unter 02305/1617.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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