Des Menschen Fleisch in Lust und Leid – Der streitbare Wiener Bildhauer und Maler Alfred Hrdlicka wird heute 70 Jahre alt

Von Bernd Berke

Provokation ist das Lebenselixier des Wiener Malers und Bildhauers Alfred Hrdlicka, der heute 70 Jahre alt wird. Hrdlicka würde gewiß glauben, er hätte etwas falsch gemacht oder seinen Elan verloren, wenn sich eines Tages niemand mehr über ihn und seine Werke aufregt.

Manchmal schoß der Berserker weit übers Ziel hinaus. 1994 etwa, als er den Sänger Wolf Biermann wegen dessen Kritik an der PDS einen „Arschkriecher“ nannte und ihm gar „die Nürnberger Rassegesetze an den Hals“ wünschte. Eine schreckliche verbale Entgleisung, die er wohl auch selbst bedauert hat. Aber er ist nicht der Mann, der klein beigibt und sich öffentlich entschuldigt. Als angenehmen oder gar pflegeleichten Menschen wird man ihn nicht bezeichnen können, sondern nur als unbequemen, unbeugsamen.

Kommunismus als Richtschnur

In der Kunst ist Hrdlicka einem ins Extreme getriebenen Realismus auf fast schon sture Weise treu geblieben. Das mißfiel den Verfechtern dezenter Abstraktion. Hrdlickas Darstellungen geiler oder geschundener Körper (die uralten Themen: Eros und Tod) sind von einer kraftgenialisch und manchmal brutal anmutenden Überdeutlichkeit. Vergrößert und vergröbert erscheinen Genitalien, aber auch zerfetzte Gliedmaßen. Es sind schmerzliche Darstellungen der Lust und des Leidens, auch des Mitleidens. Das Bild des Menschen wird auf fleischliche Gegenwart fokussiert, ob als intakte Figur oder als verrenkter Torso. Faszination durch Gewalt und der Abscheu vor ihr werden zuweilen eins.

Hrdlicka wurde am 27. Februar 1928 als Sohn eines kommunistischen Gewerkschafters in Wien geboren. Auch er selbst orientiert sich am Kommunismus, war aber klug genug, 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands aus der Partei auszutreten.

Entschieden antifaschistisch

Als Künstler stellt er sich ganz entschieden in die sozialkritische Tradition der Linken. Immer wieder hat er entsprechende Aufträge bekommen: 1981 schuf er für Wuppertal eine tonnenschwere Skulptur des Friedrich Engels, 1985/86 für Hamburg ein mehrteiliges Gegen-Monument zum dortigen NS-Kriegerdenkmal aus dem Jahre 1936, und 1988 erhielt Wien sein „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“. All diese Projekte zogen jahrelangen Streit um Gestaltung und Finanzen nach sich. Doch durch derlei Kleinigkeiten hat sich Hrdlicka noch nie beirren lassen.

Von Beherrschung der Technik und des Materials zeugen nicht nur seine Plastiken, sondern auch Radierzyklen wie „Tausendundeine Nacht“, „Roll over Mondrian“, „Wie ein Totentanz“ oder zeichnerische Werkgruppen wie zu Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“.

Hrdlicka fühlt sich vom Kunstbetrieb gelegentlich vernachlässigt, doch es hat in den letzten Jahren bedeutende Retrospektiven gegeben. 1994 war er im Dortmunder Harenberg-Center höchst präsent, 1997 richteten ihm Franfkurt und Wien eine große Werkschau aus.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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