Afrikanischer Immigrant im mörderischen Dauerstress – „Call Shop“ beim WLT uraufgeführt

Noch ein Stück über afrikanische Immigranten? Wieder die bis zum Überdruss vernommene Klage über das Unrecht in der Welt und die Ignoranz der reichen Europäer?

Die Ankündigung des Stückes „Call Shop“ von Jubril Sulaimon, das jetzt beim Westfälischen Landestheater seine Uraufführung erlebte, weckt solche Erwartungen, geht es doch in der Tat um einen afrikanischen Studenten und seine „typischen“ Probleme, die immer deutlicher werden, je länger wir ihm beim Telefonieren zusehen. Doch was Sulaimon als Autor wie auch als Hauptdarsteller erzählt, ist weitaus komplexer als erwartet. Und beschämt, wie könnte es anders sein, all jene, die vorher schon alles ganz genau wussten.

Im Gepäck vieler Menschen aus ärmeren Teilen der Welt, die in den reichen Norden kommen, stecken riesengroß auch die Erwartungen der Daheimgebliebenen. Man rechnet mit Geldüberweisungen, mit Hilfe vor Ort für Nachzügler. Außerdem, das Telefon macht die Erde zum globalen Dorf, erwartet die Verwandtschaft, dass sich die jungen Emigranten weiter um die Probleme zu Hause kümmern, um den kaputten Stromgenerator, um Großmutters Verdauungsprobleme, um die Ziege, die einem Nachbarn angeblich eine Glasscheibe zerstört hat, wofür dieser Schadensersatz haben will. Nicht im geringsten können sich die eigenen Leute vorstellen, dass ihr Sonnyboy Lamidi in Europa ganz andere, riesengroße Probleme hat, dass sein Visum erloschen ist und ihm die Abschiebung droht. Im Call Shop, in dem einige Telefone gar nicht und manche nicht richtig funktionieren, kämpft Lamidi einen aussichtslosen Kampf gegen übermächtige Widerstände. Er muss einem leid tun.

Die andere Figur in diesem Zweipersonenstück ist Damika (Julia Gutjahr), die mit mäßiger Motivation im Call Shop an der Kasse sitzt und für die Dauerklagen des gestressten Dauertelefonierers den entspannten Dialogpartner abgibt. Heirat verhieße Bleiberecht – man spricht über Paare, über alte Europäerinnen und ihre jungen afrikanischen Männer, über subtile Formen der Ausbeutung.

Späterhin verändert sich Damikas Rolle grundlegend, die Maske der Coolness fällt von ihr ab. Sie berichtet, dass ihre osteuropäische Familie sie schon als Kind zur Prostitution zwang, dass sie nach Deutschland floh und keinen Kontakt mehr zu ihren Leuten hält. Das ist ihre Überlebensstrategie, die sie auch Lamidi beschwörend nahelegt: Wenn er in der Fremde überleben will, muss er sich von den Problemen der alten Heimat abnabeln. Aber das ist nicht leicht.

So, wie Christian Scholze es in Castrop-Rauxel inszeniert hat, ist Jubril Sulaimons aufgeregtes, rastloses Einstundenstück eher Statement als Erzählung. Doch sicherlich hätte man auch die Geschichte im Stück stärker betonen können. Denn wenn Damika und Lamidi einander näherkommen und der Call Shop sich als ihrer beider verzweifelter Sehnsuchtsort entpuppt, als kümmerlicher Treffpunkt der fortgejagten, einsamen Kinder, dann ist das eine Liebesgeschichte, wenngleich ohne Happy End. „Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll“, sagt Lamidi gegen Ende des Stücks, „Ich brauche die Stimmen von zu Hause“. Und dann geht er doch.

Seit 1992 lebt und arbeitet der Nigerianer Jubril Sulaimon (Jahrgang 1968) in Deutschland, spielte in Essen, Bochum, Bremen, Wuppertal, Düsseldorf und Hamburg Theater, ist aktuell mit seinem Tanz- und Theaterensemble „Jubril Sulaimon und aipo“ auf Tournee, macht Soloprogramme. Er ist ein Märchenerzähler und ein Komödiant, meistens. Wenn in diesem bedrückenden „Call Shop“ keine Heiterkeit aufkommen konnte, so lag dies sicherlich nicht an ihm.

Die nächsten Termine sind in Essen: 26. u. 27. Februar, 20 Uhr, Einführung 19.30 Uhr. Maschinenhaus Essen. www.maschinenhaus-essen.de, Tel. 0201 / 83 78 424.
Weitere Infos: http://westfaelisches-landestheater.de/repertoire/++/produktion_id/400/

(Der Text ist zuerst im „Westfälischen Anzeiger“ erschienen)

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