Handke im Sonnenschein – Claus Peymann inszeniert „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ am Wiener Burgtheater

Von Bernd Berke

Wien. Auf der Bühne des Burgtheaters war am Samstag viel von Vorfrühlings-Hoffnung die Rede. Und als die Uraufführung von Peter Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ nach vier Stunden vorüber war, funkelte eitel Sonnenschein: Der Dichter, sonst allen Auftritten vor der Menge abhold, kobolzte – nach kurzer Verlegenheitsfrist – mit Regisseur Claus Peymann vor dem frenetisch jubelnden Publikum.

Zwei Herren, die schon einige Kapitel Theatergeschichte geschrieben haben, benahmen sich für ein paar Sekunden wie zwei fröhliche kleine Knaben.

Kein Gegenwartsautor, ausgenommen Botho Strauß, hat sich so sehr dem weihevollen Ton verschrieben wie Handke. Auch im neuen Stück spricht er oftmals wie ein Seher oder Prediger. Dies wird wieder Scharen von Spottdrosseln auf den Marktplatz rufen. Doch nach Peymanns Uraufführung werden sie’s nicht leicht haben.

Schwere Passagen wirken federleicht

Denn der hat vorgebaut. Er hat mit seinem Ensemble diesem hie und da zum monologischen Vortrag neigenden Text wundersames Bühnenleben eingehaucht. Ohne ironisch zu denunzieren oder die Sache herabzustufen, läßt er selbst schwerste Passagen federleicht und gelöst erscheinen.

Schutt- und Aschelandschaft, schräg zum Zuschauerraum hin gekippt (Bühnenbild: Achim Freyer): Dies ist die namenlose, lang isolierte, dann von fremder Macht kriegerisch unterworfene Enklave. Man hat schon gerätselt, welche Ländereien Handke meint. Österreich, von Deutschland beherrscht? Anspielungen auf Ex-Jugoslawien? Halten wir’s mit Goethe: Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen.

Verheißungsvolle Augenblicke sammeln

In der Enklave, die später aufblüht, lebt ein Volk, das in seine Niederlagen immer vertieft und vernarrt war, das nie einen Helden oder nennenswerte Historie hervorgebracht hat. Fruchtbarer, gleichsam jungfräulicher Humus also für völligen Neubeginn. Und damit ein Nährboden für das fortwährende Projekt des Peter Handke: Durchs wahrhafte, gänzlich unvoreingenommene Anschauen der Dinge Raum, Ziel und Maß zu gewinnen für ein würdigeres Erdendasein. Dies sind denn auch „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“: beständiges Ansammeln verheißungsvoller Dinge und Augenblicke, um, wenn schon nicht gleich zum Sinn, so doch vorderhand zum „Nicht-Unsinn des Lebens“ (Stückzitat) vorzudringen.

Zwei merkwürdige Helden, die in der Enklave geboren werden, sollen die neue Ära ins Werk setzen: die Vettern Pablo (Gert Voss), stets drangvoll kampf- und siegbereit, und Felipe (Johann Adam Oest), ein ewig fröhlicher Versager. Jeder hat seinen Teil der Wahrheit. Der eine pulvert auf, der andere besänftigt. Grandios, wie Voss und Oest diese eher als Prinzipien entworfenen Wesen als Charaktere von Fleisch und Blut gestalten.

Das weitere Personal wirkt wie ein fernes Nachglühen praller Shakespeare-Welten: Die Erzählerin (Anne Bennent), als holde Elfe im regenbogenfarbenen Röckchen, mit taubeglänzter Sprache und träumerischen Gesten alle beschwingend; ein Idiot (Urs Hefti) als gelegentlich weiser Narr; das durch eine einzige Figur dargestellte Volk (Martin Schwab), allergisch gegen Botschaften, mit bescheidenem Wohlstand zufrieden…

Zwischen Drachen und Fabeltieren

Sprachmächtiges Künden, aber auch Clownerie wechseln mit Passagen wortloser Begebenheiten, bei denen das „ganz Andere“ als Möglichkeit aufscheint. In der herrlich wandelbaren Szenerie, in der Drachen aufsteigen, Vögel fleuchen oder Fabeltiere einherziehen, entfaltet sich ein kaum erschöpfliches Denk- und Sinn-Spiel, ein eigentümlicher Sagen- und Legendenstoff von neuem, unerhörtem Königtum und Gesetzgebung zum ewigen Frieden.

Lauscht man genau, hat freilich schon Handke selbst dem Pathos immer wieder die Spitze geknickt. Das „Königsdrama“ (Untertitel) handelt weniger von Gekrönten als vom Königsweg zur befriedeten Menschlichkeit. Es ist von hier und jetzt, auch wenn es entschieden übers „Heute“ hinaus will. Und jene allzeit die Enklavenbewohner bedrohende „Raumverdränger-Rotte“, die mit „1-D-Brillen“ und Echo-Saugern alle räumlichen oder zeitlichen Staffelungen (und damit jede Sehnsucht) von der Erde tilgen will, kann man sich gut als Vorhut einer entseelten, technisch-virtuellen Zukunft vorstellen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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