Von der Pflanzung zur Mauer aus Backstein – Neuere Arbeiten von Per Kirkeby in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer kann aus 8800 Backsteinen ein Kunstwerk fabrizieren? Natürlich Per Kirkeby. Der mehrfache documenta-Teilnehmer aus Dänemark ist mit machtvollen Skulptur-Bauten aus diesem Material zu einiger Berühmtheit gelangt. Die Ausstellung der Ruhrfestspiele gibt Einblicke in den Entstehungsprozeß solcher Werke.

Die Kunsthalle Recklinghausen ist als ehemaliger Weltkriegsbunker sehr geeignet für die schwere und steinige Kunst, denn eine tragfähigere Statik dürfte kaum zu finden sein. Und so war es denn auch kein technisches Problem, im ersten Stockwerk besagte Tausendschaften von Backsteinen nach Kirkebys Anweisungen zu einem kreuzförmigen Geviert zu mauern.

Könnte man das Werk von oben betrachten, sähe man vier steinerne Arme, die ausgreifen wie Windmühlenflügel. Da aber die mit Türdurchbrüchen versehenen Mauerteile vor dem Betrachter vier Meter hoch bis zur Decke aufragen, nimmt man sie eher als irritierendes Gehäuse wahr und fragt sich verwundert, wie es um Regelmaß und Symmetrie bestellt ist – ein Seh- und Geh-Abenteuer zwischen Architektur und Skulptur. Nach der Ausstellung wird diese Arbeit übrigens komplett abgerissen. Das scheinbar so Festgefügte erweist sich mithin als flüchtiger Ort. Man könnte tiefsinnige lebensphilosophische Gedanken daran knüpfen .. .

Auch in Recklinghausen ereignet sich, was immer der Fall ist, wenn Kirkeby (55) selbst die räumlichen Positionen seiner Kunst bestimmt: Das Innere des Museums wird so nachhaltig verändert und verfremdet, daß es selbst zum Ausstellungsstück mutiert.

Vielleicht ein neues Wahrzeichen für die Stadt 

Eine Besonderheit der Ruhrfestspiel-Schau besteht darin, daß sie die überraschenden Wege nachzeichnet, auf denen Kirkeby zu seinen anfangs immer etwas abweisend und monoton wirkenden Backstein-Aufbauten gelangt. Anhand von kleinen Modellen aus schwärzlich schimmernder Bronze, die den Ziegel-Monumenten stets vorausgehen, erkennt man jene Spuren innig beseelter Handarbeit, die man den auf öffentlichen Plätzen postierten Resultaten später nicht mehr anmerkt, ja, die man als Ursprung nicht einmal vermuten würde.

Es zeigt sich, daß an der Ideen-Quelle das unmittelbar Sinnliche und Vorbilder aus der Natur noch eine große Rolle spielen. Belege dafür sind auch jene 20 Monotypien (spezielle Form der Druckgraphik, bei der nur Unikate entstehen), die man ohne Kenntnis der Dinge nicht gerade Per Kirkeby zuordnen würde. Denn sie zeigen zarte, vegetabile, also pflanzliche Wachstumsformen. Pflanzung als naturwüchsiger Vorläufer des Bauens also. Ein beinahe ins Mystische weisender Vorgang.

Unterdessen zeichnet sich ab, daß die Stadt Recklinghausen mit Sponsorenhilfe zu einem großen Wahrzeichen kommen wird. Auf dem Platz am Lohberg – einem Kriegerdenkmal vis-à-vis – kann eine 25 Meter breite Ziegelstein-Skulptur von Kirkeby ihren festen Platz finden. Es wäre wohl eine Pilgerstätte der Gegenwarts-Kunst, kaum minder bedeutsam als Richard Serras Stahlskulptur „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof.

Per Kirkeby. Kunsthalle Recklinghausen (Ruhrfestspiel-Ausstellung). Eröffnung Sa., 7. Mai (17 Uhr). Bis 17. Juli, di-fr 10-18, sa/so 11-17 Uhr. Katalog 35 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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