Schlachtrufe gegen den grauen Alltag – „Die Toten Hosen“ in der Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Nebenan in der kleinen Halle 2 mühten sich die Grufties von „Black Sabbath“ um Hardrock-Stimmungsmache. Damit gab’s in der ausverkauften großen Arena gar keine Probleme. Denn dort spielten zeitgleich „Die Toten Hosen“. Wer neulich gedacht hatte, Herbert Grönemeyer habe das Dortmunder Publikum schon auf höchste Touren gebracht, der hatte nur die furiose Düsseldorfer Radau-Band noch nicht erlebt.

Die meisten „Hosen“-Titel haben kaum widerstehliche Refrains, so recht zum Mitgrölen. Ganz gleich, ob es um fröhliches Drauflosleben, Radikal-Klamauk oder um Warnungen vor Neonazis geht, es sind fast immer Schlachtruf-Gesänge, eingängige Mutmacher wie „Komm mit uns“ oder „Wir sind bereit“.

Die Bewegungen im Publikum gleichen denen in der Südkurve von Borussia Dortmund. Mit stoßweise gereckten Fäusten werden die lustvollen Remmidemmi-Hymnen begleitet. Noch ’ne Parallele zum BVB: Schon lange vor dem Konzert ist rund um die Halle alles mit Bierdosen und Flaschen übersät. Die hochgeistigen „Hosen“ feiern ja auch diverse Getränke – mit Gassenhauern wie „Eisgekühlter Bommerlunder“ und „Altbier“.

Wer Alben und Songs mit lockenden Titeln wie „Kauf mich!“, „Reich & Sexy“ oder „Wünsch DIR was“ versieht, zielt ins Herz der Leute, die mit Fernsehen und Werbung aufgewachsen sind. Unterlegt mit angepunktem Hardrock, ist das eine unschlagbare Mixtur fürs Massenvergnügen. Zumal, wenn das Ganze noch ein wenig parodierend aufgemischt wird. Besonders gut funktioniert das. wenn Klassiker wie „Azzuro“ oder „Guantanamera“ verrockt werden.

Allein schon die physische Leistung…

Wenn der Bühnenvorhang aufgeht, hängen einige Skelette überlebensgroß von der Decke herab. Dazu paßt eines der Highlights, die kleine Horrorshow von „Hier kommt Axel“. Sänger Campino & Co. starten ihren Dortmunder Auftritt aber gleich ganz steil mit „Wünsch DIR was“.

Allein die physische Leistung ist erstaunlich. Gegen neun Uhr geht’s (nach der Allerwelts-Vorgruppe „Jingo de Lunch“) los – und es dauert mit vielen Zugaben bis weit nach elf. Über die volle Distanz toben die „Toten Hosen“ herum wie Springteufel. Auch die Gitarrencrew (Breite Breitkopf, Kuddel) und Bassist Andi Meurer sausen ständig die Podeste rauf und runter. Gegen Schluß taucht die Band (bis auf Drummer Wölli Münchhausen) gar plötzlich auf einem der obersten Ränge auf, mitten im Publikum. Fast zwangsläufig bei derlei Bühnensport, daß die Leute zwischendurch zwei- bis dreimal ganz leicht aus dem rhythmischen Tritt kommen. Was soll’s.

Neben der parodistischen haben die „Toten Hosen“ auch eine pädagogische Ader. Nach dem Lied „Sascha…ein aufrechter Deutscher“ kommt aus dem Hallenrund der vielstimmige Ruf „Nazis ‚raus“. Campino prompt: „Das war die beste Stelle des Abends, und sie kam von euch“. Doch er verfügt auch über die nötige Frechheit, um sich über Konkurrenten wie Grönemeyer lustig zu machen. Jemand, bei dem das Publikum so mächtig mitgeht, darf sogar das.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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