Das Leben ist ein langer, schmutziger Fluss: Filmischer Abgesang aufs Industriezeitalter

Foto: Matthew Barney

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Detroit ist am Arsch: Verfallene Industrieanlagen, heruntergekommene, entvölkerte Stadtteile und ausgebrannte Autowracks. Und durch alles wälzen sich zwei stinkende, verseuchte Flüsse. Sechs Stunden dauert der filmische Abgesang auf das Industriezeitalter von Matthew Barney und Jonathan Bepler, den die Ruhrtriennale in der Lichtburg zeigte.

Natürlich beinhaltet dieses Epos noch viel mehr: Vorlage ist der Roman „Ancient Evenings“ (Frühe Nächte) von Norman Mailer. Die ersten zwei Stunden von „River of Fundament“ vergehen mit dem Leichenschmaus bei Mailers Witwe in New York, bei dem ein elitärer Village-Voice-Zirkel sich die Ehre gibt. Heimgesucht allerdings durch den aus einem mit Fäkalien angefüllten Abwasserkanal entstiegenen Mailer selbst, der mit Dreck und Kot bespritzt die Veranstaltung als obszönes Gespenst besucht. Untote Gefährten aus der ägyptischen Mythologie begleiten ihn, feiern schweinische Orgien und streben doch eigentlich nach Wiedergeburt.

Möglichweise als Auto? Um das neue goldene Modell eines Chryslers tanzen die Menschen im Autohaus herum wie um das goldene Kalb. Kein Wunder, denn hier hat der Teufel seine Finger im Spiel und lenkt den Fetisch ins Verderben, das heißt in den Fluss, aus dem das Wrack dann von zwei Blondinen – als FBI-Polizistinnen ausstaffiert – geborgen wird. Diese sind in Wahrheit aber die ägyptische Isis und ihre Schwester Nephthys, in inniger Familienfehde verbunden, weil beide wild auf Osiris, also Norman, also das neue Auto.

Foto: Matthew Barney

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Ganz klar auf jeden Fall: Es ist die Gier, die uns ins Verderben stürzen wird und unser ganzes materialistisches Zeitalter gleich mit. Wer könnte das besser nachempfinden als die Ruhrgebietsbewohner bzw. ihre Vorfahren, die den Niedergang der Industrie am eigenen Leibe gespürt haben – so passt der Film schlüssig ins Programm der Triennale. Opulent wie eine Oper, verstörend in seinen Bildern und grenzüberschreitend sowie allumfassend im Thema nennen der Künstler Barney und der Komponist Bepler ihr Werk einen sinfonischen Film.

Zum Schluss wimmeln die Maden im Spanferkel des Leichenschmauses: Ein plakativeres Vanitas-Motiv gibt es kaum. Aber Barney ist eben weit davon entfernt, ein dezenter Künstler zu sein. Schön-schrecklich anzusehen ist er, sein Weltuntergang und von zerstörerischer Kraft.

Doch was kommt eigentlich danach? Wo sind die ganzen Nerds und körperlosen Gesellen, die uns bedrohen? Diese saubere statt der schmutzigen Gefahr, die nicht so offensichtlich nach Hölle, Gewalt und Ausbeutung stinkt? Aber vielleicht gibt es darüber ja bald einen neuen Film…

Weitere Infos: www.ruhrtriennale.de

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