Zwischen Kassenbrille und „Schmetterling“ – Geschichte der Sehhilfen im Stadtmuseum Iserlohn

Von Bernd Berke

Iserlohn. Erst legte man Lupen („Sehsteine“) auf Bücher oder Schriften und beugte sich mühsam darüber. Später hielt man sich Sehhilfen als Lorgnons vor die Augen, was immer etwas hochmütig, indigniert und eitel wirkte. Dann drückte man zwei Bügel seitlich ans Gesicht. Da konnte „das Ding“ leicht herunterfallen. Doch endlich kam einer auf die grandiose Idee, diese Bügel umzubiegen und hinter die Ohren zu klemmen. Manche Erfindungen dauern eben etwas länger.

Auch vermeintlich simple Dinge wie Brillen haben ihre Vor- und Kultur-Geschichte. In einer Ausstellung unter dem sinnigen Motto „Gefaßten Blicks“ dokumentiert jetzt das Stadtmuseum Iserlohn das „Brillentragen und Brillendesign in der Nachkriegszeit“ (Untertitel). 177 Exponate markieren den Weg von der medizinischen Zweckmäßigkeit bis zur Mode von heute, wo die Brillenindustrie den Damen am liebsten je zehn Stück verpassen möchte – zu jedem Kleid eine.

Auf Schaubildern wird nicht nur die Brille in Karikatur und Werbung vorgeführt. Man verfolgt auch die Ur-Historie der „Nasenfahrräder“, die erst mit Einführung der Schulpflicht zum Massenartikel wurden, bis ins 13. Jahrhundert zurück. Am anderen Ende der Zeitachse geht die Schau bis zum Jahr 1991. Allein das Nachkriegsspektrum reicht von der gewöhnlichen Kassenbrille bis zum schrillen, von Hollywood-Stars inspirierten „Schmetterlings“-Design.

Direkt nach dem Krieg hatten die Deutschen natürlich erst einmal anderes zu besorgen als schicke Brillen. Hatten bis dato Metalle als Rahmenmaterial dominiert, war man nun schon froh, wenn man ein Gestell aus Zelluloid bekam. Der Haken an der Sache war nur: Zelluloid brannte verteufelt schnell. Manche Brillenträger, die mit Feuer in Berührung kamen, spürten es schmerzhaft und buchstäblich fassungslos. Eine kleine Revolution war es daher, als in den 50er Jahren das Material Optyl (Kunstharz) aufkam, das nicht mehr entflammte.

Jene 50er Jahre bilden den Schwerpunkt der Iserlohner Ausstellung. Optischer Blickfang im Treppenhaus ist ein herrlich „schräges“ Großfoto von den drei Siegerinnen im Wettstreit um die „Miß Brille“ (1961). Die drei Grazien sind nichts dagegen.

Die Vitrinen und vor allem ein genau rekonstruiertes Optiker-Schaufenster aus den 50ern bergen so manches schöne und beredte Original – von der über und über mit Edelsteinen besetzten Luxusbrille bis zum herzförmigen Exemplar, das zu ausgiebigen Augenflirts einlud.

Die Leute vom Westfälischen Museumsamt in Münster, die die Schau  zusammengestellt haben (mit Leihgaben von Firmen und Privatsammlern), können viele Geschichten zu ihrem Thema erzählen. So deuten etwa besonders dicke Fassungen meist auf Machtansprüche des Trägers hin. Da kann man sein Gegenüber bedrohlich wie ein alter Uhu angucken. Beispiel: Helmut Kohl, der auf dem Weg zur Macht mit einer breitrandigen Imponierbrille daherkam – bis Imageberater dem Kanzler, der das Gehabe nun nicht mehr nötig hatte, ein filigranes Modell verordneten.

„Gefaßten Blicks. Brillentragen und Brillendesign in der Nachkriegszeit“. Stadtmuseum Iserlohn (Fritz-Kühn-Platz 1). Ab sofort bis 29. November. Di-So 10-17 Uhr, Do 10-19 Uhr. Katalog: 140 Seiten/200 Abb. – Die Schau kommt später u. a. nach Schmallenberg, Unna und Bergkamen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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