Die vielen Meinungen und das Erlernen des Abschieds – Markus Werners Roman „Bis bald“

Von Bernd Berke

Allein in Tunesien, dem ganzen Elend des Pauschaltourismus auch noch als Single ausgeliefert, bekam Hatt seinen Herzanfall. Nun, schon daheim auf dem Krankenlager, erzählt er seine Leidensgeschichte.

Wie in so vielen Romanen, spielt auch hier die Trennung von einer Frau die zentrale Rolle, dazu der Tod des Sohnes, der an einem Hirntumor gestorben ist. „Ein Unstern“, so der Ich-Erzähler, sei über seinem Leben aufgegangen.

Doch vor allem steckt die Geschichte anfangs voller Meinungen und Ansichten über alles und jedes. Das schwankt ganz sonderbar zwischen heiligem Zorn, aphoristischer Dichte und haltloser Geschwätzigkeit. Da gibt es Haßtiraden gegen die Schweiz im allgemeinen und Geschäftsleute im besonderen. Da kritisiert dieser Hatt neumodische Sitzmöbel, äußert sich zur Gleichberechtigung, zieht gegen den „Terror der Nichtraucher“ zu Felde und gibt obendrein Geheimtipps für den Urlaub (Blockhaus in Finnland). Einer, der so viel zu meinen hat, muß doch wohl mächtig am Leben hängen. Der sagt dann immer „Bis bald!“ und kann von nichts Abschied nehmen.

„Die Welt ist unhaltbar“

Außerdem laboriert der Denkmalpfleger offenbar an beruflicher Prägung. Wo er geht und steht, will er auch gestrige, vermeintlich authentische Formen des Lebens behüten. Doch nichts läßt sich festhalten, alles zerrinnt – und das ist schrecklich: „Die Welt ist unhaltbar“ – so lautet denn auch ein Lieblingssatz dieses von der Gegenwart versehrten Menschen. Also doch einer, der sich insgeheim nach Tod und Erlösung sehnt?

Dringlichkeit bekommen all die sprunghaften Gedanken, wenn man erfährt, daß Hatt die ganze Zeit auf einen Anruf aus der Klinik wartet: Die Ärzte wollen ihm ein neues Herz einpflanzen und warten ihrerseits nur noch auf ein geeignetes Transplantat. Seine Gedanken kreisen um dieses Warten. Die unentschiedene, existentiell angespannte Situation zwingt ihn zur Konzentration aufs Wesentliche, auch zum Erlernen des Abschieds. Zunächst gleichsam probehalber, dann ganz konkret.

Von der Operationsliste streichen

Ganz am Ende ringt sich Hatt zu einem wahrlich lebenswichtigen Entschluß durch: Er läßt sich von der Operationsliste streichen, läßt also sein Leben los und erfährt dadurch eine seltsame Leichtigkeit des Seins. Von seinen allfälligen Meinungen hat er sich längst verabschiedet. Ob er sterben muß, erfahren wir nicht mehr.

Thematisch und sprachlich ist Markus Werners Roman „Bis bald“ ein sehr achtbares Werk. Vielleicht ist es hie und da ein wenig zu kostbar und hochgestochen geraten. Manches hätte man sich noch lakonischer gewünscht. Doch das sind Bagatell-Unfälle, ja eigentlich nicht einmal das.

Gelegentlich durchsetzt mit schweizerdeutschen Ausdrücken („Währschaft“), erinnert das Buch ganz nebenher auch an den Reichtum, den die deutschsprachige Literatur der Auffächerung in östlich-westlich bundesdeutsche, österreichische und schweizerische Varianten samt Regionalstilen (und Sonderformen wie dem Rumäniendeutschen) verdankt. Wie armselig wäre es doch, schrieben sie nur zwischen Flensburg und Freiburg in dieser Sprache.

Markus Werner: „Bis bald“. Roman. Residenz Verlag. 224 Seiten, 39 DM.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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