Menschheits-Beglücker sind nur noch komische Vögel – Ingomar von Kieseritzkys Roman „Der Frauenplan“

Von Bernd Berke

Wie so manches Phänomen der Kultur, ist auch der Schriftsteller Ingomar von Kieseritzky heftig dabei, eine Kult-Figur zu werden. Sein Verlag hat das ganz richtig erkannt und nennt ihn gar nicht mehr bei vollem Namen, sondern nur mit dem Markenzeichen „Kieseritzky“ – nur wo das draufsteht, ist auch Kieseritzky drin…

In der Tat: Seine Schreibweise gleicht in bestimmten Sinne einem erprobten Markenartikel, sie ist schon nach wenigen Zeilen erkenn- und unverwechselbar. Geschenkt, ob er der „deutsche Woody Allen“ (Verlagswerbung) ist oder ein Nachfahre etwa von Jean Paul. Allein die Art jedenfalls, wie er aus allerlei Verschrobenheiten des Alltags seltsamsaukomische Schein-Systeme sprießen läßt oder wie er erlesenste Fremdworte und Autorennamen unversehens mit Gassenjargon durchmischt, ist ziemlich unnachahmlich.

Fremdwörterbuch und Autorenlexikon kann man bei der Lektüre trotzdem getrost beiseite lassen. Der Autor bedient sich besagter Wendungen nicht im Sinne von Bedeutsamkeit, er setzt sie als „Signale“ für eine erzkomisch wirkende wissenschaftliche Ernsthaftigkeit, Aufklärungs- und Fortschrittsgläubigkeit älterer Bauart.

Mit solcher Wissenschaftlichkeit schickt sich in „Der Frauenplan“ ein Erzähler namens Goff (Berufe u.a.: Friedhofsgärtner, Fotograf, Callboy, Literaturagent] an, die weibliche Welt zu klassifizieren, als wolle er Schmetterlinge sortieren. Da geht es etwa um Kritierien wie „dreieckige Nasenlöcher“, die auf „Andacht im Bett“ hindeuten.

Doch natürlich kommt dem absurd-ausgeklügelten „Frauenplan“ immer wieder die unberechenbare Wirklichkeit in die Quere, woraus Kieseritzky, Autor des heimlichen Bestsellers „Das Buch der Desaster“, erneut seine Spezialität, die allerschönsten Katastrophen-Szenen nämlich, destilliert. Immer wieder erfährt man nebenbei, wie Gurus und vermeintliche Bescheidwisser groteske Tode sterben, die ihren Theorien Hohn sprechen.

Alle Menschheits-Beglücker sind nur noch komische Vögel, jedes Lebens-Rezept ist Quark, alle Planung Schwachsinn. Auch Goffs Theorie der systematischen Annäherung ans andere Geschlecht, seine Pläne zur Erzeugung „bedeutsamer Augenblicke“ geraten da immer mehr zu einer Theorie des Rückzugs, der Fluchten im Zeichen totaler „Streßvermeidung“ – bis hin zur freiwilligen und völligen Bewegungslosigkeit.

Kieseritzky vermag es immer wieder, einprägsam wahnsinnige Figuren zu schaffen, so etwa jenen Coburn, der mit lauter mißlungenen Selbstmordversuchen nervt; jenen schrulligen Buchhändler Lambert, der an seinen eigenen unerbittlichen Ansprüchen (Leben und Denken wie Goethe!) aufs Bizarrste scheitert; jenen versoffenen Prediger, der fiebrig an einer Sammlung definitiver Flüche herumdichtet. Auch Kleinigkeiten wie etwas die Verselbständigung einer Sofortbildkamera geraten hier zu mehr als nur Kabinettstücken.

Ingomar von Kieseritzky: „Der Frauenplan. Etüden für Männer“. Roman. Klett-Cotta Verlag, 326 Seiten, 38 DM.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 13 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Literatur abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.