Bücherberg und Bilderfluten – Peter Greenaways Film „Prosperos Bücher“

Von Bernd Berke

In David Lynchs „Wild at Heart“ wurde ein leinwandfüllendes Streichholz krachend angerissen. Das Feuer kündete von Gewalt. In Peter Greenaways „Prosperos Bücher“ knallt nun – ebenso vollformatig – ein Wassertropfen wie ein Geschoß herab. Eine Art „Antwort“ auf Lynch? Tatsachlich waltet bei Prospero am Ende Gnade vor Rache: Wasser löscht Feuer, Gewaltlosigkeit obsiegt.

Ist es nun „ganz große Oper“ für die Augen oder nur ein gewaltiger Budenzauber? Für seine Shakespeare-Adaption (nach dem Drama „Der Sturm“) hat Greenaway alle Geisterwesen des Himmels, der Erdnatur und des Höllenkreises in Bewegung gesetzt. Zu Hunderten wandeln da faunische Gestalten und Nymphchen, allesamt nackt, durch die Szenerie. Dagegen wirken Fellini-Filme karg.

Als traue Greenaway der Aussagekraft einzelner Bilder nicht mehr, lagert er oft verschiedene Bildkarrees übereinander: Ein Geviert in der Mitte, ringsum ein Rahmen-Geschehen, dazu noch Uberblendungen – alles synchron. Dazu jener Greenaway-typische, unterkühlt registrierende Kamera-Blick aus gleichbleibend weiter Distanz.

Der große alte John Gielgud spielt den Prospero, jenen Intellektuellen, der seine Bücher höher schätzt als ein Herzogtum. Da aber Intriganten ihn einst entmachtet haben, läßt er deren Schiff in einen Sturm geraten und auf einer Insel stranden. Dort lehrt der mit Zauberkraft begabte Prospero, unterstützt von Luft-und Ergeistern, seine Feinde das Fürchten. Doch statt Rache übt er schließlich Gnade – Utopie für den seltenen Fall, daß ein geistiger Mensch zur Herrschaft gelangt.

Greenaway macht aus Shakespeares spätestem Stück einen freischwebenden Vorgang im Kopf des Prospero, der auch sämtliche Texte der anderen Figuren spricht. Zutat des Regisseurs ist die Geschichte jener 24 Bücher Prosperos („Buch vom Wasser“, „Buch der Sprachen“ usw.), die von allen Wissenschaften der Shakespeare-Zeit handeln. Diese Schriften inspirieren Greenaway zu überwältigenden Bildern. So lebendig, endlos wandelbar und in so inniger Verquickung mit den „Elementen“ Feuer, Wasser, Luft und Erde hat man Bücher noch nie gesehen. Es ist ein ästhetisches Erlebnis mit ungeahnter technischer Raffinesse: Computergestützte HDTV-Technik ermöglichte Greenaway die „malerische“ Nachbearbeitung des Zelluloids.

Zwar folgt der Film dem Text (bei uns in der guten alten Schlegel-Tieck-Übersetzung) ziemlich getreu, doch lösen bestimmte Stichworte beispiellose Bilderfluten aus. Dann gerät alles aus den Fugen, manchmal leider auch geschmacklich. Kaum ein Moment ohne antikisierende Architektur-Versatzstücke (Säulen, Portale), dazu puttenhafte Kindergesichter und holde, ranke Jungfrauen im Tanze zu sphärischer Musik. Ein gigantischer Videoclip zu „Shakespeare Superstar“?

Bei allem Respekt vor Greenaways malerischem Sinn: So turmhoch angehäufter Klassizismus wirkt auf Dauer – will man den problematischen „Kitsch“-Begriff beiseite lassen – zumindest ermüdend.

„Prosperos Bücher“. Regie: Peter Greenaway. Mit John Gielgud und vielen anderen. Ab morgen im Kino.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 1 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kino abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.