Zwischen Komik und Verzweiflung: Ernst Jandl wird 65 Jahre alt

Von Bernd Berke

Während andere seitenlang schwadronieren, warum und inwiefern der Mensch ein irrendes Wesen sei, schenkt uns der Dichter Ernst Jandl diese unsterblichen Zeilen:

manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum

Derlei Gratwanderungen zwischen Genialität und Kalauer sind vor allem für den früheren Jandl typisch. Bezeichnend auch, daß er die Sprache derart zerpflückt und neu montiert, daß sie direkt verkörpern kann, was sonst umständlich umschrieben werden müßte. Klassisches Beispiel ist Jandls Lautgedicht über den „Schützengraben“, der sprachlich zum „schtzngrmm“ zusammenschnurrt und – insbesondere, wenn vom Dichter laut vorgelesen – mehr über die dumpf ratternde Motorik konventioneller Kriegführung verrät als manche Abhandlung. Heute wird der Büchner-Preisträger Ernst Jandl, vor allem als Lyriker einer der bedeutendsten Autoren im deutschen Sprachraum, 65 Jahre alt.

Auch als Dramatiker hatte Jandl mit „Aus der Fremde“ einen Erfolg (Mülheimer Dramatikerpreis 1980), der seinerzeit überraschte. Das Stück ist durchweg im Konjunktiv geschrieben, verweigert also konsequent die direkte, dramatische Rede – und ist doch ein (spielbares) Drama beschädigten Bewußtseins, dem sich allerdings nur die bestbesetzten Bühnen widmen sollten.

Der gebürtige Wiener Jandl, früher im Brotberuf Deutsch- und Englischlehrer am Gymnasium, hat sich mit seinen öffentlichen Gedichtelesungen auch als begnadeter Wort-Entertainer erwiesen. Hunderte, ja Tausende auf einmal lauschten ihm hingerissen, und zwar beileibe nicht nur Literaturkenner. Wer sonst als Jandl hätte ambitionierte ästhetische Experimente dermaßen erhellend mit dem banalen Alltag „kurzgeschlossen“?

Sein erster Gedichtband, „Andere Augen“ (1956), ließ noch nicht die spätere Hinwendung zur experimentellen Poesie ahnen. Die vollzog Jandl erst im Kontakt zur „Wiener Gruppe“ (H. C. Artmann, Gerhard Rühm u. a.), im Austausch mit seiner literarischen Gefährtin Friederike Mayröcker und unter dem Lektüre-Einfluß des Iren James Joyce; auch spielt Jazz-Rhythmik als Grundmuster eine wesentliche Rolle.

Die ersten Lautgedichte trug Jandl 1957 vor. Von solchen Lesungen gibt es Platten und TV-Aufzeichnungen, die das Sprachvergnügen noch erheblich steigern. Schriftlich gesammelt liegt diese Lyrik in Bänden wie „Hosi-Anna“ (1965), „Laut und Luise“ (1966) oder „Die Bearbeitung der Mütze“ (1978) vor.

Spätestens seit dem „Selbstporträt des Schachspielers als trinkende Uhr“ (1983) zeigt sich, daß hinter der vermeintlichen Sprach-Clownerie zusehends Verzweiflung an der Sprache wie am Leben gewachsen ist. Dies hat, wie Jandl in einem Gedicht durchblicken’ließ, inzwischen auch mit der Trauer um die verstorbenen Kollegen Erich Fried und Thomas Bernhard zu tun. Höchst nachvollziehbar, schrieb „Zeit“-Kritiker Benedikt Erenz zum „Schachspieler“-Band: „Es ist nicht mehr die Sprache, mit der Ernst Jandl jongliert – es ist die Verzweiflung selbst. Ich hatte mich auf dieses Buch gefreut; auf das nächste freue ich mich nicht mehr, ich fürchte es.“

In der Tat: Auch in den „Idyllen“ (1989) überwiegen knappste Umrißzeichnungen klirrender Einsamkeit und Vergeblichkeit, notiert in qualvoll-nachhaltig zersetzter, manchmal nur noch leise vor sich hin sirrender Sprache, die man endlos zitieren könnte. Jedenfalls legt man da die sonst so gängige „Betroffenheits“- und Laber-Lyrik am besten ganz schnell beiseite.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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