Van Gogh: Übermächtiges Vorbild – Große Ausstellung in Essen verfolgt seine Einflüsse auf andere Künstler

Von Bernd Berke

Essen. Manchmal ist es nur eine ganz bestimmte Farbnuance oder eine ganz gewisse Art des Pinselstrichs, der an „ihn“ erinnert; dann wieder werden ganze Motiv-Komplexe von „ihm“ übernommen oder zum Beispiel auch die – charakteristisch schräg von oben verlaufende – Blickrichtung auf Flüsse und Boote.

„Er“, das ist Vincent van Gogh. Die anderen, das sind jene Künstler, die zwischen 1890 und 1914 seinem übermächtigen Einfluß entweder erlagen oder ihn produktiv verarbeiteten und dabei mitunter selbst zu Vorbildern der nächsten Generation wurden. Mit der Ausstellung „Vincent van Gogh und die Moderne“ zieht das Essener Folkwang-Museum den Vergleich zwischen van Gogh und seinen mehr oder minder eigenständigen Nachfolgern.

Auch wenn es Einwände gibt, ist dies doch die wichtigste und vor allem aufwendigste Kunstausstellung des Jahres im Revier. Ohne den Sponsor „Ruhrgas AG“, der auch für Risiken geradesteht, hätte man nie und nimmer diese Werkfülle von Leihgebern aus aller Welt bekommen: 54 Bilder von van Gogh (darunter so berühmte wie eine „Sonnenblumen“-Version oder das Kornfeld mit Krähen) und 153 weitere, darunter einige von Picasso, Matisse, Munch sowie zahlreichen Expressionisten. Klaus Liesen, Ruhrgas-Vorstandsvorsitzender, schweigt beharrlich über die Kosten: „Das verrate ich nicht einmal unserem Aufsichtsrat“.

Glanzpunkt der Ausstellung ist sicherlich einer der wenigen direkten Vergleiche zwischen drei Boots-Motiven von van Gogh, André Derain und Max Pechstein, die unmittelbar nebeneinander hängen. Ansonsten ist man bei der Hängung leider vielfach einem chronologischen bzw. gar einem nach Ländern trennenden Prinzip gefolgt. Das macht die Sache unnötig kompliziert, es widerspricht auch dem Konzept. Mag sein, daß es nebenbei mit den strengen Sicherheitsanforderungen zu tun hat. Für den Besucher, der viel Zeit mitbringen sollte, sieht die Angelegenheit dann freilich so aus: Irgendwann zu Beginn des Rundgangs hatte man doch ein Bauernmotiv von van Gogh gesehen? Das entprechende Vergleichsbild taucht jedoch erst „einen halben Kilometer später“ auf.

Weiterhin: Nicht in jedem Falle scheint Vergleichbarkeit überhaupt gegeben bzw. sinnvoll zu sein. Unter großzügigern Blickwinkel ist da nämlich letztlich jeder Künstler der Moderne mit jedem anderen „verwandt“, was wiederum auch mit gesellschaftlichen Ursachen zu tun hat. So zeigt sich etwa im verzweifelt-leeren Blick auf vielen Selbstporträts auch ein Reflex auf die Isolation moderner Künstler, die die gesamte Avantgarde betraf. Auch der allgemeine Zug zum Eigenwert von Form und Farbe ist nicht aus der direkten Beeinflussung durch van Gogh erklärbar.

Jedenfalls zeigt sich deutlich, daß van Gogh in den meisten Vergleichsfällen triumphaler „Sieger“ bleibt. Was bei ihm klar, entschieden und kraftvoll wirkt, verschwimmt manch einem seiner minder genialen Nachahmer (die hier auch zahlreich vertreten sind) zum bloßen Accessoire oder beiläufigen Ornament, zur bloßen Manier.

Andererseits erlebt man auch Überraschungen. Wer hätte gewußt, daß der spätere Beherrscher von Quadrat und Rechteck, Piet Mondrian, anfangs im Stile von van Gogh gemalt hat? Mondrian gehört zu jenen Künstlern, die sich aus dem Schatten des Vorbilds gelöst haben. Bei manch anderem ahnt man, wie erdrückend das Vorbild auf dem Zutrauen zum eigenen Können gelastet haben muß.

„Vincent van Gogh und die Moderne 1890-1914″. Museum Folkwang, Essen, Goethestraße. 11. August bis 4. November (anschließend in Amsterdam). Do, Mi, Do, Sa + So 10-20 Uhr, freltags 10 bis 24 (!) Uhr, montags geschlossen. Eintritt: 15 DM. Katalog 50 DM.

Prosaischer Tip: Es wird mit rund 300 000 Besuchern gerechnet. Einen günstigen Parkplatz wird man also am Folkwang-Museum schwerlich finden. Daher: Fußweg von der Gruga in Kauf nehmen oder öfffentliche Verkehrsmittel bei nutzen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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